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"Der Punkt, an dem Putin nervös wird"

Von Thomas Seifert

Politik
Guntram Wolff am Rande der "Time to Decide"-Veranstaltung von Erste Stiftung und IWM.
© Thomas Seifert

Der deutsche Volkswirt Guntram Wolff spricht sich für eine weitere Verschärfung der Russland-Sanktionen aus.


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Der Krieg in der Ukraine war eines der zentralen Themen bei der von der Ersten Stiftung und dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen organisierten Diskussionsveranstaltung "Time to Decide". Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Volkswirt Guntram Wolff ist einer der kenntnisreichsten Experten zum Thema Russland-Sanktionen. Die "Wiener Zeitung" traf ihn am Campus der Ersten Bank zum Interview.

"Wiener Zeitung": Wie viel Respekt haben Sie eigentlich vor Elvira Nabiullina, der Notenbankpräsidentin der Russischen Föderation, der es bisher gelungen ist, trotz der Sanktionen einen Crash der russischen Wirtschaft zu verhindern?Guntram Wolff: Naja, ich habe hohen Respekt vor ihrer fachlichen Kompetenz. Sie hat es nämlich geschafft, trotz der Sanktionen und des Einfrierens der Reserven der Zentralbank Russland einen angesichts der Lage beachtlichen wirtschaftspolitischen Spielraum zu erhalten. Sprich: Russland hat eine funktionierende Notenbank und einen funktionierenden Haushalt, funktionierende Budgetkompetenz und hat es geschafft, sich in den Monaten seit dem Angriff am 24. Februar 2022 enorm anzupassen. Das Land hat in der Praxis auf Kriegswirtschaft umgestellt. Was die Person Elvira Nabiullina betrifft, sieht es da mit meinem Respekt ganz anders aus: Sie ist leider Teil - und war das wohl seit jeher - des Machtapparats von Wladimir Putin.

Beide Seiten haben in diesem Krieg die Anpassungsfähigkeit des jeweils anderen unterschätzt: Putin glaubte, die Ukraine rasch niederringen zu können - und hat sich getäuscht. Er glaubte auch, Europa mit einem Energiekrieg in die Knie zwingen zu können - und ist damit gescheitert. Gleichzeitig glaubte der Westen, Russlands Wirtschaft würde wegen der Sanktionen implodieren - eine weitere Fehlkalkulation.

Europa hat sich erstaunlich schnell auf die neue Situation am Öl- und Gasmarkt eingestellt. Aber auch Russland hat sich überraschend schnell angepasst: Das ist Moskau gelungen, weil die russischen Energiekonzerne im Jahr 2022 weiterhin massiv Öl und Gas exportieren konnten - und das zu Weltmarktpreisen, die um ein Vielfaches gestiegen waren. Das heißt, Russland hat 2022 eigentlich ein goldenes Jahr gehabt und fossile Brennstoffe im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro exportiert. Das bedeutet: enorme Profite. Und diese Profite sind in sogenannten Shadow reserves gelandet. Also Devisenreserven, die an den Sanktionen vorbeigeschmuggelt und über sehr intransparente Konstruktionen in Offshore-Häfen geparkt wurden. Die ursprünglichen Sanktionen haben russische Devisenreserven in Höhe von rund 300 Milliarden Dollar geblockt, aber alleine im Vorjahr konnten wieder mehr als 140 Milliarden Dollar angehäuft werden.

Wie konnte Russland das gelingen?

Im Jahr 2022 gab es noch keine nennenswerten Energiesanktionen. Das hat sich 2023 aber geändert. Die Öleinnahmen haben sich verringert, und das Budgetdefizit Russlands ist massiv angestiegen. Wir argumentieren in einem unlängst erschienenen Papier, dass wir weitere Finanzsanktionen ins Auge fassen sollten, gleichzeitig die Transparenz erhöhen müssen, um die Durchsetzung des Preis-Caps bei den Öl-Sanktionen zu stärken und dadurch den Handlungsspielraum Putins weiter einzuschränken. Aber es gibt noch weitere Stellschrauben.

Welche meinen Sie?

Bei Technologie-Sanktionen sehe ich noch eine Fülle von Möglichkeiten. Da geht es um die Reduktion des Zugangs zu Technologie - vor allem für militärische Anwendungen. Aber noch einmal zurück zu den Öl- und Gas-Sanktionen. Warum ist der Preis-Cap so effektiv? Das Embargo und der Cap verschieben Marktmacht von Russland weg hin zu jenen Ländern, die russisches Öl kaufen. Vor allem Indien und China profitieren von den niedrigen Preisen, weil sie das Öl auf diese Weise billiger einkaufen können. Um diese wirkungsvollen Sanktionen abzusichern, geht es nun darum, die Transparenz bei diesen Transaktionen zu erhöhen. Das heißt, Banken und andere Finanzinstitute, die finanzielle Operationen im Ölgeschäft durchführen, müssen verpflichtet werden, detaillierte Informationen über die diesen Geschäften zugrunde liegenden Transaktionen einzufordern. Das bedeutet: Eine Bank darf nicht mehr einfach nur einen Geldtransfer buchen, sondern muss dokumentieren, dass der Kunde sich an den westlichen Price-Cap hält. Länder wie Indien und China profitieren von günstigeren Ölpreisen und sind somit erst einmal gar nicht gegen diese Maßnahmen.

Wer sperrt sich gegen diese Pläne?

Die Offshore-Häfen. Aber gegen die Macht des europäischen und des amerikanischen Finanzsystems haben diese Schattenfinanzplätze wenig aufzubieten. Die Bankenaufsichten und die Zentralbanken der westlichen Länder haben da recht gute Hebel, diese Sanktionen tatsächlich durchzusetzen, wenn sie von der Politik dazu verpflichtet werden.

Glauben Sie an eine weitere Verschärfung der Sanktionen?

Man könnte den Preis-Cap noch weiter anziehen. Der entscheidende Punkt ist da die Durchsetzung. Der Hebel: Die Finanzinstitutionen müssen die Transportunternehmen für Öl in die Pflicht nehmen und sie zwingend auffordern, die Versicherungsverträge jeweils zu dokumentieren, bevor sie Finanzgeschäfte im Ölbereich machen.

Wird die Lage für Russlands Staat angesichts der Sanktionen für das Jahr 2023 schwieriger als das Jahr 2022?

Klar ist, die Einnahmen sind schwächer und der Ausgabendruck fürs Militär größer. Bei Staatsfinanzen ist nicht zuletzt der politische Faktor entscheidend. Es geht also darum, ob Putin die politische Macht hat, Ausgaben im Haushalt umzuschichten. Noch funktioniert die Finanzierung an den Kapitalmärkten, noch ist die Zentralbank glaubwürdig genug, um die Liquidität in den Märkten zu garantieren. Bis jetzt hat Putin den enormen Anstieg der Militärausgaben finanzieren können - und zwar nicht nur über höhere Defizite, sondern auch über Umschichtungen und Reduktion anderer Ausgaben. Er hat die Regionen in die Pflicht genommen und eingefordert, dass dort etwa Geld für die Ausrüstung der neu rekrutierten Soldaten ausgegeben wird.

Wie lange kann Putin diese Politik aufrechterhalten?

Noch hat Putin die Kraft, den Haushalt entsprechend anzupassen. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo er diese Kraft nicht mehr aufbringen kann, und das ist der Moment, an dem auch die Finanzmärkte nervös werden und an dem dann auch Putin und der russische Staat nervös werden müssen. Ob dieser Punkt in einem Jahr kommt, in zwei Jahren oder schon in sechs Monaten, das ist sehr schwer vorherzusagen. Klar ist, jede wirkungsvolle Sanktion engt den Handlungsspielraum des Regimes in Russland ein, und insofern müssen wir das Nachschärfen der Sanktionen rigoros weiterverfolgen.