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"Der Putsch war Routine"

Von Tobias Holub

Politik

Christian Hoffmann erlebte als Redakteur der "Wiener Zeitung" 1991 den Putsch - zu dieser Zeit war der Autor dieses Artikels noch nicht geboren.


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Wien. Christian Hoffmann war während dem Moskauer August-Putsch vor 25 Jahren Politikredakteur bei der "Wiener Zeitung". Er erinnert sich an die historische Jelzin-Rede und die Arbeit bei einer Zeitung, die eigentlich keine war. Seine Eindrücke aus dem August 1991 zeichnet ein Praktikant auf, der zu dieser Zeit noch nicht gelebt hat.

Die Fernsehansprache des Putschisten und UdSSR-Vizepräsidenten Gennadi Janajew am 19. August 1991 live auf Periscope. Der Hashtag #wheresgorbatschow im Trend auf Twitter. Und Facebook voll von Vermutungen, was in Moskau eigentlich passiert. So ähnlich hätten die Ereignisse damals ablaufen können, wenn es die sozialen Medien schon gegeben hätte. Stattdessen bezieht Christian Hoffmann seine Informationen an jenem Tag von einem einfachen Stück Papier. "Man war von Agentur-Meldungen abhängig. Diese kamen per Fernschreiber rein und wurden von einem Boten an die Ressorts verteilt", erinnert sich Hoffmann.

"Gegen Mittag hatte dann jeder Redakteur einen Papierhaufen zu sichten und sortieren. So wie man das heute am Tablet macht", sagt das journalistische Urgestein. Um 18 Uhr kommen die Texte in den Druck. Danach sieht man zum ersten Mal die fertige Seite. "Staatsstreich in der UdSSR: Gorbatschow ‚in Sicherheit‘? - Jelzin ruft zum Generalstreik auf", heißt es am nächsten Tag in der "Wiener Zeitung". Und in fetten Lettern: "Gorbatschow muß sich erholen".

"Die Informationslage war unübersichtlich. Es hat Gerüchte von einem Militärputsch gegeben", sagt Hoffmann. "Aber die Zeitung hatte damals die Neigung, den offiziellen Standpunkt einzunehmen." Also wird abgedruckt, was das "Staatskomitee für den Ausnahmezustand" - so nennt sich die Junta aus hochrangigen sowjetischen Funktionären - der Öffentlichkeit vermeldet. Zu diesem Zeitpunkt ist die "Wiener Zeitung" formell gar keine Zeitung im herkömmlichen Sinn. Sie ist eine Abteilung des Bundeskanzleramtes. "Man hat sich eher als Verlautbarungsorgan gefühlt. Deshalb war die Berichterstattung sehr zurückhaltend, da hat es am Tag nach dem Putsch keinen einzigen Kommentar gegeben. Das wäre heute ja komplett unverständlich." Erst mit der Auslagerung der Zeitung in eine GmbH 1998 ändert sich das Selbstverständnis.

Unübersichtliche Lage

Auch in den darauffolgenden Tagen wird die Lage nicht klarer, die Meldungen sind widersprüchlich. "Mir ist die Szene im Kopf geblieben, wie der Präsident der russischen Teilrepublik, Boris Jelzin, auf einem Panzer steht und seine Ansprache hält." Er ruft zum Widerstand gegen die Putschisten auf. Daraufhin versammeln sich Bürger vor dem Weißen Haus in Moskau, damals Regierungssitz Russlands, und errichten Straßenblockaden. Viele der sowjetischen Soldaten wollen nicht auf ihre russischen Landsleute schießen und wechseln die Seite. "Das war die ikonische Szene. Der Rest war so undurchsichtig, wie wir es von der Sowjetunion damals gewohnt waren."

Einen Korrespondenten in Moskau hat die "Wiener Zeitung" zu der Zeit nicht, die Redaktion ist schlicht zu klein. Es gibt ein allgemeines Politikressort, in dem zwei Redakteure für Außenpolitik zuständig sind. Der erste Augenzeugenbericht, den das Blatt einige Tage nach dem Putsch abdruckt, stammt vermutlich auch von einer Agentur. "Heute würdest du auch nicht genau wissen, was los ist. Aber du hättest über Facebook und Twitter sehr viel mehr Quellen. Vor allem direkt in Russland", sagt der Redakteur. Am 22. August 1991 berichtet die "Wiener Zeitung", dass Gorbatschow dank Jelzin wieder im Amt ist. "Der Putsch war im Grunde genommen eine Routineangelegenheit. Diese Art von Aufregung war man damals gewöhnt, weil die politische Situation in der Sowjetunion seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 sehr wechselhaft war." Mehrere sowjetische Teilrepubliken, wie die Ukraine, wollen damals mehr Unabhängigkeit. Gorbatschow soll am 20. August einen neuen Gemeinschaftsvertrag für die UdSSR unterschreiben, der eine gewisse Dezentralisierung ermöglicht, ohne die Union aufzulösen. Die Putschisten wollen die Macht bei der Führung der UdSSR halten. Mit ihrem gescheiterten Aufstand haben sie das Gegenteil erreicht: Mit Ende des Jahres ist die Sowjetunion Geschichte.

"Das Erstaunliche ist, dass man die Entwicklung nicht als bedrohlich empfunden hat. Natürlich waren alle erleichtert, dass der Putsch glimpflich ausgegangen ist. Aber die Auflösung der Sowjetunion hat in Österreich niemand als Gefahr wahrgenommen, obwohl enorme Militärapparate im Umbruch waren", sagt Hoffmann. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wäre das angsteinflößend gewesen, aber die Wahrnehmung des Militärs habe sich seitdem geändert. "Nach 1991 hatte man das Gefühl, dass Demokratie und Öffnung die Zukunft sind." Viele der heutigen Entwicklungen seien eine Folge dieser Umstürze, wie etwa der westliche Kurs in der Ukraine oder der zunehmend nationalistische Kurs in Ungarn und Polen.

"Früher wurde das unter der einheitlichen Oberfläche der Sowjetunion verborgen. Aber mit der Auflösung ist das aufgebrochen. Heute sind die verschiedenen Staaten im Osten eigene Welten mit eigener Politik. Das hatte man sich 1991 nicht vorstellen können."