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Zu glauben, mit Van der Bellens Wahlsieg sei der Vormarsch FPÖ-artiger Parteien in Europa aufgehalten worden, ist ein fundamentaler Irrtum.
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Dem ganzen Kontinent, gab der deutsche Vizekanzler und SPD-Chef Siegmar Gabriel nach dem Wahlsieg Alexander Van der Bellens via Twitter zu Protokoll, sei "ein Stein vom Herzen" gefallen. Sollte das mit dem Stein tatsächlich so sein, dann haben wir es wohl mit einer eher gravierenden politischen Fehleinschätzung zu tun. Denn wer glaubt, mit Norbert Hofers Niederlage sei die massive Dynamik zugunsten von Parteien im Stile der FPÖ in Europa gestoppt oder auch nur nennenswert aufgehalten worden, dürfte irren.
Tatsächlich hat die FPÖ vergangenen Sonntag den Kampf um ein überschaubar relevantes Amt, schon gar im europäischen Kontext, verloren. Viel mehr ist da nicht. Dass in Frankreich ein zu Marine Le Pen neigender arbeitsloser Stahlarbeiter nun plötzlich für eine andere Partei stimmt, ist genauswenig zu erwarten wie eine Änderung des Wahlverhaltens jener zahllosen Italiener, die eine der EU-Austrittsparteien präferieren. Hofers Niederlage ist bei Licht besehen ein Ereignis von regionaler Bedeutung, das den Fall der großen Dominosteine - Brexit, Donald Trump, Italo-Referendum und möglicherweise nächstes Jahr Frankreich - nicht nennenswert beeinflusst; weder in die eine noch in die andere Richtung. Bei genauerer Betrachtung dürfte das auch für Österreich selbst gelten. Gut möglich, dass die relativ knappe Hofburg-Wahlniederlage realpolitisch aus dreierlei Gründen das Beste war, das der FPÖ passieren konnte, auch wenn sie das Ergebnis reichlich weinerlich und in völlig unangemessener Opferpose beklagt hat.
Erstens wollen auch eingefleischte Protestwähler wohl eher nicht gleichzeitig einen FPÖ-Präsidenten und einen FPÖ-Bundeskanzler. Da es aber natürlich primär ums Kanzleramt geht, wäre für die FPÖ ein Sieg Hofers in dieser Logik gar nicht so erstrebenswert gewesen.
Zweitens war Hofers Niederlage wohl auch dem gewaltigen Schulterschluss aller anderen politischen, medialen und kulturellen Meinungsführer im Land geschuldet, was die vermeintliche "Anti-Establishment"-Anmutung der FPÖ weiter verstärkt. "Mit dem verpassten Einzug in die Hofburg fällt es der FPÖ noch leichter, sich als einzige Kraft außerhalb eines angeblichen ‚Systems‘ zu gebärden", analysierte die "NZZ" zutreffend, "und nun auch die Grünen - einst die Oppositionspartei par excellence - zur verhassten Elite zu zählen. Vor diesem Hintergrund kann sie den Nationalratswahlen, möglicherweise schon im nächsten Jahr, gelassen entgegensehen."
Drittens müssen trotz der Niederlage am Sonntag so viele Menschen für die FPÖ in Gestalt Hofers gestimmt haben wie noch nie, auch Parteigänger von ÖVP und (in geringerem Maß) SPÖ. All diese Wähler haben die für sie neue Erfahrung gemacht, dass man in der Anonymität der Wahlzelle sein Kreuz auch bei Pfui-
Kandidaten machen kann, ohne dass die Erden aufhört sich zu drehen. Sie werden es vielleicht wieder tun.
Ob es wirklich Grund gibt, dass Europa "ein Stein vom Herzen fällt", wird sich hierzulande erst am Tag der nächsten Nationalratswahlen zeigen. Die Chancen der FPÖ, diese zu gewinnen, sind seit dem vergangenen Sonntag nicht kleiner geworden. Wer glaubt, mit dem Van der Bellens Sieg sei diese politische Disruption abgewendet worden, wird sich möglicherweis noch wundern müssen, was möglich ist.