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Der Radikalen Zähmung

Von Simon Rosner

Politik

Der Konflikt um islamistische Kindergärten ist ein Konflikt zwischen politischem Wollen und Grundwerten.


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Vorhang auf! - Bühne frei! Doch was auf dieser Bühne, der politischen, in Sachen Islamdebatte derzeit gegeben wird, ist von geradezu bemerkenswerten Merkwürdigkeiten durchsetzt. Da geraten Integrationsminister Sebastian Kurz und Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely ganz offen über muslimische Kindergärten in Streit, obwohl klar ist, dass niemand radikal-islamistische Kindergärten befürwortet. Doch auch muslimische Verbände bewerfen sich mit nicht gerade wohlmeinenden Aussendungen, die Initiative Liberaler Muslime Österreich fordert auch die Schließung von radikal-islamischen Kindergärten und Schulen, und attackiert die islamische Glaubensgemeinschaft.

Ein anderes Beispiel ist die kürzlich hochgeschwappte Aufregung über Halal-zertifiziertes Fleisch in österreichischen Supermärkten, bei der sich die Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) sofort mit den Muslimen solidarisierte. Anderseits hatte vor einigen Wochen Oscar Deutsch, Präsident der IKG, vor dem "latenten Antisemitismus unter vielen der rund 20 Millionen Muslimen in Europa" gewarnt, der sich zuletzt immer wieder entladen hätte. Er sagte dies übrigens vor den jüngsten Anschlägen in Paris.

Säkulare Haltung,nicht laizistisch

Das ist alles ein wenig verwirrend, weil für die Zuschauer auch nicht klar ist, was genau hinter den Kulissen abläuft. Diskussionen sind aber auch deshalb schwierig, weil selbst Fragen bisweilen als diskriminierend verstanden werden. Oder auch verstanden werden könnten, weshalb die Fragen dann erst gar nicht gestellt werden. Und das ist in jedem Fall schlecht.

Was aber immer offenkundiger wird, ist das zunehmende Spannungsverhältnis zwischen österreichischen Werten, die ja künftig auch unterrichtet werden sollen, und den Bedürfnissen weiter Teile der Bevölkerung und damit in weiterer Konsequenz auch den Zielen der Politik. Österreich vertritt prinzipiell eine säkulare Haltung, aber eben keine laizisitische wie Frankreich. Hierzulande gibt es konfessionelle Schulen und Kindergärten, christliche wie jüdische. Und eben auch islamische. Und sie werden auch gefördert.

Im bundesweiten Bildungs-Rahmen-Plan für Elementarpädagogik ist Religion allerdings völlig ausgespart, weshalb es einen zusätzlichen, von der (katholischen) St. Nikolausstiftung herausgegebenen, religionspädagogischen Bildungsplan gibt, der von Niederösterreich übernommen wurde, von Wien aber beispielsweise nicht. In diesem Bildungsplan ist auch Interreligiosität ein Thema. In den 81 Kindergärten in Wien der St. Nikolausstiftung sind etwa fünf Prozent muslimische Kinder.

Nun kann man davon ausgehen, dass diese Gruppe nicht zu jenen Muslimen gehört, die einer streng konservativen bis sogar salafistischen Auslegung des Islam folgen. Denn das ist wohl der Hauptgrund für die Bedenken bei islamischen Kindergärten, dass eben dadurch schon in frühester Kindheit eine Parallelgesellschaft geschaffen wird, die westlichen Werten und Lebensstilen diametral entgegensteht und die Scharia über das österreichische Gesetz stellt.

Das mag nur einen sehr kleinen Teil der hier lebenden Muslime betreffen, aber ihm gebührt eben eine besonders große Aufmerksamkeit, weil er das integrative Miteinander und damit in weiterer Konsequenz auch die gesellschaftliche Solidarität gefährdet. Deshalb will man hierzulande, wie auch in anderen Teilen Europas, verhindern (oder zumindest so gut es geht einschränken), dass der Salafismus Fuß fasst. Die Frage ist allerdings, mit welchen Mitteln dies getan wird?

Verfassungsrechtliche Bedenken

Im Moment steht es nicht zur Debatte, also zumindest nicht auf politischer Ebene, einen Weg einzuschlagen, der Religionen generell aus Kindergärten und Schulen verbannt. In Internetforen wird dies im Fall des Islam aber sehr wohl verlangt. Konsequenter weise müsste dies aber eben auch automatisch für alle Konfessionen gelten, sonst geht sich das verfassungsrechtlich nicht aus.

Wobei sich in dieser Hinsicht der Gesetzgeber beim Islamgesetz ohnehin schon sehr weit vorgewagt hat, denn er hat eine Ungleichheit festgeschrieben. Während bei den übrigen Konfessionen dies nicht geregelt und damit auch nicht verboten ist, dürfen sich islamische Vereine und Verbände nicht mehr über das Ausland finanzieren. Ob dieses Gesetz hält, wird im kommenden Jahr wohl der Verfassungsgerichtshof entscheiden.

Doch allein die Gesetzgebung war ein bemerkenswerter (und viel kritisierter) Schritt. Er sollte verhindern, dass Gelder von islamistischen Verbänden wie der Muslimbruderschaft nach Österreich fließen. Einerseits verständlich, andererseits aber auch eine klare Abkehr der bisher gelebten Politik, den anerkannten Religionsgemeinschaften weitreichende Freiheiten zu geben.

Religiöse Bildung als Terror-Abwehr?

Auch die Judikatur ging bisher in diese Richtung. Der VfGH hat beim Tierschutzgesetz, das eine Betäubung bei Schlachtvieh vor der Tötung vorschreibt, die Ausnahme für rituelle Schlachtungen (Schächten) bestätigt. Wobei gerade das als "halal" zertifizierte Fleisch, das in heimischen Supermärkten verkauft wird, von Tieren stammt, die sehr wohl vor der Tötung betäubt werden. Auch bei diesen Speise-Zertifikaten gibt es einen innermuslimischen Konflikt. Juden übrigens haben zum Teil ähnliche, beim Schächten in der Praxis sogar strengere Speisevorschriften (Kaschrut).

Ein Aspekt scheint gerade bei der Frage (frühkindlicher) religiöser Bildung nicht unwichtig zu sein. Unter den ganz radikalen europäischen Islamisten, die dem Ruf des IS folgen, ist der Großteil religiös völlig unbedarft. Wo nichts ist, kann die krude Auslegung des Koran gut hineingeleert werden. Dieser Aspekt wurde in der Debatte über islamische Bildung bisher nicht behandelt.