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Der "Alpha-Rüde", wie er in den von Wikileaks offengelegten US-Depeschen genannt wurde, ist wieder da, die vier Jahre Interregnum sind vorbei: Wladimir Putin kehrt im Mai auf jenen Arbeitsplatz in den Kreml zurück, den er schon von 2000 bis 2008 innehatte. 63,75 Prozent der Russen sollen es gewesen sein, die am Sonntag auf dem Wahlzettel seinen Namen ankreuzten. Daran bestehen zwar erhebliche Zweifel: Wer kann schon glauben, dass Putin ausgerechnet in der Krisenrepublik Tschetschenien bei fast hundertprozentiger Wahlbeteiligung auf 99,73 Prozent der Stimmen gekommen sein soll? Dennoch: Im Dezember, nach den plötzlich und unerwartet einsetzenden Massenprotesten, hatte Putin noch einen nervöseren Eindruck gemacht. Damals schien es nicht unmöglich, dass der Premier sich einer Stichwahl würde stellen müssen.
Die ist nun ausgeblieben: Nach dem Ausschluss ernstzunehmender Gegenkandidaten von der Wahl, mittels passender TV-Berichterstattung und der Mobilisierung der eigenen Anhänger ist es Putin mit Ach und Krach doch noch geglückt, das bereits stark ramponierte Siegerimage, sein wichtigstes politisches Kapital, neu aufzupolieren. "Unser Kandidat ist ein Sieger - Wladimir Putin", durfte dann auch Noch-Präsident Dmitri Medwedew erklären.
Doch gerade das Schicksal Medwedews verdeutlicht - aller Siegerrhetorik zum Trotz -, dass bei Putins Plänen so einiges schiefgelaufen sein muss: Der Noch-Präsident, dessen Image als ewiger Hoffnungsträger des liberalen Lagers bereits stark gelitten hatte, wurde durch die Ankündigung der Ämterrochade endgültig zur "lame duck". Einen glaubwürdigen Reformpremier kann er nicht mehr abgeben - für die russische Mittelschicht, die Medwedew nahestand, hat er jede Glaubwürdigkeit verloren. Wenn Medwedew doch noch Premier werden sollte, dann wohl nicht lange.
Putin steht nun vor der Wahl, entweder auf jene "patriotischen" Kräfte zu setzen, denen er seinen Sieg verdankt. Dann würden sich aber die aktivsten Teile der russischen Gesellschaft in den großen Städten endgültig von ihm abwenden, sich der Exodus dieser Mittelschicht ins Ausland verstärken. "Putin 2.0" könnte deshalb auch an seine erste Amtszeit als zaghafter Modernisierer anknüpfen. Nötig wäre dazu ein Kompromiss mit seinen Gegnern. Einen möglichen Premier für ein solches Szenario gäbe es jedenfalls bereits: Ex-Finanzminister Alexei Kudrin, der kurz vor dem Einsetzen der Proteste im Spätherbst ins Lager der Opposition wechselte.