Bewaffnete Truppen plündern, während ihre Anführer im Luxushotel residieren.
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Bangui. 16 Einschusslöcher sprenkeln das knallgrüne Tor der Hofeinfahrt eines Mittelklassehauses im Stadtviertel Borab in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Der 17. Schuss hatte das Vorhängeschloss gesprengt, woraufhin die Rebellen der "Seleka" (was in der lokalen Sprache Sangho "Allianz" bedeutet) eindringen konnten.
Der Innenhof sieht aus wie ein Schlachtfeld: Leere Patronenhülsen liegen zwischen zersplitterten Fußbodenkacheln, Autoreifen, Pappkartons und leeren Benzinkanistern. Die Türen des schlichten Wohnhauses sowie die der zwei kleineren Häuser, die als Bürogebäude und Lagerräume dienten, sind ebenfalls aufgesprengt. Darin sieht es jeweils aus, als habe ein Wirbelwind gewütet. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, haben die Rebellen mitgenommen: die Polster und die Couchgarnitur, Besteck, Töpfe, Teller. Nur die privaten Fotoalben haben sie zurückgelassen: Familienporträts des ehemaligen Jugend- und Sportministers Eduard Ngassona liegen verstreut auf dem Wohnzimmerboden.
Kein Ministerium, kein Laden ist vor Milizen sicher
Seitdem die Rebellen-Allianz Seleka aus dem Nord-Osten Ende März die Hauptstadt der international weitgehend unbeachteten Zentralafrikanischen Republik erobert hat, ziehen deren schwerbewaffnete Kämpfer in Bangui von Haus zu Haus. Zuerst plünderten sie die Domizile der Beamten und Minister der Regierung des gestürzten Präsidenten Francois Bozize sowie dessen Palast und die Ministerien. Dann waren die Fuhrparks und Lagerbestände internationaler Nichtregierungsorganisationen an der Reihe. Ein Beispiel: Von "Ärzte ohne Grenzen" stahlen sie 14 Geländewagen sowie Medikamente und Ausrüstung im Wert von einer Million Euro. In einer weiteren Plünderungswelle vor zwei Wochen machten sie sich dann über das Kleingewerbe her.
So auch im Stadtviertel Borab, wo sich entlang der staubigen Hauptstraße Tischlereien, Schweißereien, Autowerkstätten, Bars und kleine Läden in Holzhütten reihen, in denen man vom Handy bis zu Streichhölzer früher so ziemlich alles erstehen konnte. Jetzt sind die Regale leer.
"Mein ganzes Leben ist ruiniert", klagt Serge Dioro, der neben dem Haus des Ex-Sportministers ein kleines Internetcafé unterhielt. Drucker, Kopierer, drei Computer und Monitore sowie den Stromgenerator hätten die Rebellen auf einen Lastwagen geladen und abtransportiert, erzählt er. Niedergeschlagen sitzt er jetzt in seinem Laden vor einem leeren Holztisch.
Aufgebracht kommen seine Nachbarn angelaufen. Wild gestikulierend zählen sie alles auf, was die Männer in Uniform beschlagnahmt haben. Von Haus zu Haus seien sie gegangen, hätten Matratzen, Kleidung, Kochgeschirr mitgenommen. Ein Schneider schleppt eine Schaufensterpuppe an: "Diese wollten sie nicht haben, dafür aber meine Nähmaschine", seufzt er.
Beliebt machen sich die neuen Herrscher aus dem Nordosten des Landes damit nicht bei den Einwohnern der Hauptstadt, die im Süden liegt. "Das sind Muslime, vielleicht sogar Islamisten", schimpft der Schneider. "Die meisten der Rebellen sind sowieso Ausländer, die können nicht einmal unsere Sprache. Unser alter Präsident war ein korrupter Diktator, doch jetzt will ich ihn lieber zurück haben, als von diesen Fremden beherrscht zu werden", sagt er.
Unter den Hauptstädtern in Bangui werden derzeit die wildesten Gerüchte ausgetauscht, wer sich hinter der Seleka verberge. Als Zusammenschluss von vier Rebellengruppen marschierten die Kämpfer im Dezember 2011 vom Norden her kommend durch den Busch auf Bangui zu. Unterwegs sammelten sie weitere Milizen und Rekruten ein: Auch bewaffnete Kinder und Frauen schlossen sich den Kämpfern an, in der Hoffnung, ebenfalls Beute machen zu können.
Am 24. März stürmten die Rebellen dann Bangui. Die schlecht bezahlte und demoralisierte Regierungsarmee rannte davon. Die Regierung von Präsident Bozize flüchtete nach Kamerun - mit ihr auch Sportminister Ngassona, dessen Haus ausgeräumt wurde. Die Hauptstadt wurde fast kampflos eingenommen. Seleka-Anführer Michel Djotodia wurde zum Präsidenten ernannt, setzte die Verfassung aus, löste das Parlament auf und verkündete, er wolle die islamische Scharia als Rechtsgrundlage einführen.
Seitdem herrscht regelrechte Anarchie. Wie im Wilden Westen düsen die Seleka-Offiziere mit ihren erbeuteten Pick-up-Geländewagen durch die Straßen. Schriftzüge wie "No Respect" zieren die Motorhauben. Die Leibwächter auf den Ladeflächen tragen gewaltige Maschinengewehre und Munitionsgürtel, ihre Gesichter sind in Turbane gewickelt, die oft nur die Augen preisgeben.
Die Preise steigen und die Banken sind geschlossen
Für die christlichen Hauptstädter gelten die Seleka-Kämpfer als Söldner aus den nördlichen Nachbarländern Tschad und Sudan, die Rebellen sind für sie Besatzer, gesteuert von diesen beiden Staaten. Seleka-Führer Djotodia war einst Konsul in Sudans Hauptstadt Darfur. Er habe dort Kämpfer rekrutiert, so das Gerücht. Tatsächlich sind die winzigen Minderheitenstämme im Norden, aus denen die Kämpfer entstammen, traditionell Viehhirten, die auf der Suche nach Grasland dauernd durch die Grenzgebiete ziehen. Durch Sümpfe, die in Regenzeiten unpassierbar werden, von den südlichen Landesteilen abgeschnitten, orientieren sich diese kleinen Stämme wirtschaftlich, kulturell und religiös nach Norden. "Ich war noch nie in Bangui, diese Leute hier haben Strom und Autos und Straßen - das gibt es bei uns alles nicht", erzählt ein junger Kämpfer, der das Eingangstor des Parlaments bewacht, während er vergnügt mit seinem frisch erbeuteten Handy spielt.
Kaum wird es dunkel am frühen Abend, hallen Schüsse durch die Gassen. Die Hauptstädter verstecken sich bei Kerzenschein zu Hause. Elektrisches Licht könnte die Rebellen anlocken, die auf der Suche nach Stromgeneratoren sind, so die Angst. Tagsüber sind noch immer die meisten Geschäfte geschlossen. Ladenbesitzer haben nichts mehr anzubieten. In den Telefonshops kann man keine SIM-Karten kaufen, weil die Rebellen alle mitgenommen haben. Die Schulen sind zu, weil sich hunderte Kämpfer in den Klassenzimmern einquartiert haben. Die Banken sind seit mehr als einem Monat geschlossen, es ist kaum mehr Geld im Umlauf. Die Preise steigen täglich. Die Wirtschaft der Zentralafrikanischen Republik, ohnehin auf dem globalen Entwicklungsindex auf Platz 179 (von 187), liegt am Boden.
Unterdessen lassen es sich die neuen Herrscher aus dem unterentwickelten Norden des bettelarmen Landes in Banguis Luxushotel gut gehen. Das von einem Vertrauten des verstorbenen libyschen Herrschers Muhammar Gaddafi erbaute 5-Sterne Hotel "Ledger Plaza" wurde vergangenes Jahr eröffnet. Auf dem Parkplatz reihen sich die frisch erbeuteten Staatskarossen des Regierungsfuhrparks: Mercedes mit abgeschraubten Nummernschildern sowie zahlreiche Militärfahrzeuge, die mit Maschinengewehren bestückt sind. Die uniformierten Leibwächter verneigen sich daneben zum Gebet nach Mekka.
Der Pool im Garten ist leer, darin schlafen jetzt die Leibwächter des Seleka-Präsidenten. Der 64-jährige Rebellenführer und neue Staatschef Djotodia logiert in der Präsidentensuite, die 3500 Dollar die Nacht kostet. In der klimatisierten Lobby schlurfen die neuen Minister in langen edlen Gewändern, die Pistole am Halfter locker über die Schultern baumelnd, über den Marmorfußboden.
Ein schwer bewaffneter Konvoi biegt in die Hofeinfahrt. Der Innen- und Sicherheitsminister, Seleka-General Adam Noredhin, steigt aus. Seine Leibwächter sichern die Umgebung. Kaum ist der Mann mit dem goldenen Gewand im Hotel verschwunden, streiten sich dessen Leibwächter mit der Präsidentengarde Djotodias, die ebenfalls das Gelände sichert. Scheinbar geht es darum, wer hier das Kommando hat. Noredhin und Djotodia gelten als Rivalen, jeder ist General seiner eigenen Miliz, die sich 2012 zur Seleka zusammenschlossen. Aus dem hitzigen Wortgefecht zwischen den Soldaten wird fast eine gewaltsame Auseinandersetzung.
Das große Versprechen von Frieden und Sicherheit
Seleka-Sprecher Ajouma Narkoyo blickt irritiert. Der kräftige Mann in schwarzer Uniform, Pistole und Messer am Hüftgürtel, hat alle Mühe, das schlechte Image seiner Miliz aufzupolieren. Die systematischen Plünderungen nennt er "Hausdurchsuchungen, um die Sicherheit herzustellen". Die Ex-Regierung habe vor ihrer Flucht Waffen unter der Bevölkerung verteilt, um die Hauptstadt zu verteidigen. "Unsere Männer sind dabei, diese Elemente zu entwaffnen und die Viertel nach Waffen abzusuchen. Denn diese Männer schießen nachts, schaffen Unsicherheit", sagt er.
Auf Nachfrage gibt er zu, dass sich auch unter der Seleka "unkontrollierbare Elemente" befinden und versichert: "Wir garantieren, dass wir Frieden und Sicherheit im ganzen Land herstellen können."