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Der Raubzug des Leviathan

Von Roland Knauer

Wissen
In Anbetracht der Ausweitung der Waljagd werden möglicherweise in zwölf Millionen Jahren keine Wal-Fossilien aus der Gegenwart mehr gefunden werden. Foto: Corbis

Rund 40 Zentimeter lange Zähne machen den ausgestorbenen Pottwal zu einem Urzeitmonster. | Fossilien an der Küste von Peru entdeckt. | Ica/Berlin. Allein in der Jagdsaison 2008/2009 wurden mehr als 1500 Wale getötet. Zudem darf Grönland nun auch Buckelwale jagen. Möglicherweise werden also in zwölf Millionen Jahren keine Wal-Fossilien mehr gefunden werden, die aus der Gegenwart stammen. So alt ist jedenfalls der jüngste Fund an der Küste Perus.


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Wie Elefanten-Stoßzähne sahen die Zähne aus, über die Klaas Post vom Naturhistorischen Museum in Rotterdam auf einer kurzen Expedition in der peruanischen Küstenwüste stolperte. Gleich daneben entdeckte er dann aber die gut erhaltenen Reste eines drei Meter langen Schädels und Kiefers, die einem Pottwal-Kopf verblüffend ähnelten. Der Fundort liegt rund 35 Kilometer südlich der Oasenstadt Ica.

Als Olivier Lambert vom Königlichen Institut für Naturwissenschaften in Brüssel und seine Kollegen in Utrecht, Paris, Pisa und Lima den Fund dann genauer untersuchten, bestätigte sich der Verdacht: Klaas Post hatte keine Riesenelefanten-Fossilien, sondern die Überreste eines Wals gefunden, der mit einem Raubtier-Gebiss mit Unterschenkel-großen Zähnen und einem Kopf so groß wie ein Kleinwagen vor rund zwölf Millionen Jahren durch den Pazifik schwamm ("Nature", Band 466, Seite 105).

Vom Schädel bis zur Fluke dürfte das Tier ähnlich groß wie seine heute lebenden Pottwal-Verwandten gewesen sein. Die werden 18 Meter lang, 50 Tonnen schwer und gelten als die größten Tiere mit Zähnen, die auf der Erde leben. Mit maximal 25 Zentimetern Länge fallen die Beißer aus, die aus dem Unterkiefer eines Pottwals ragen. Da der Pottwal aber im Oberkiefer keine Zähne hat, fällt der Biss kaum kräftig aus. Vermutlich überwältigen diese Tiere in rund tausend Metern Wassertiefe ihre Beute, indem sie die dort schwimmenden Riesenkalmare einsaugen.

Das Gebiss und der Kopf des in Peru gefundenen Raubwals aber erinnern frappierend an die heute lebenden Schwertwale. Diese größten Vertreter der Delfine können mit ihren scharfen Zähnen nicht nur tiefe Wunden in ihre Beute schlagen, sondern auch große Fleischfetzen aus ihren Opfern herausreißen. Jedoch sind selbst die größten Schwertwale höchstens acht Meter lang und neun Tonnen schwer. Ihr Schädel erreicht mit einem Meter Länge nur ein Drittel der Dimensionen jenes Raubwals, der vor zwölf Millionen Jahren durch die Ozeane schwamm.

Kräftiger Biss: Zähneso groß wie Unterschenkel

Jeder seiner Zähne hatte mit bis zu 36 Zentimetern Länge und zwölf Zentimetern Durchmesser die Größe eines menschlichen Unterschenkels. Aus der Erdgeschichte kennen die Forscher kein einziges Amphibium, Reptil oder Säugetier, das einen ähnlich kräftigen Biss hatte. Ein wenig erinnert der Riesen-Raubwal an das mythische Meeresungeheuer Leviathan aus der Bibel. Dieses Monster wurde zum Taufpaten der neuen Art Leviathan melvillei. Der Artname erinnert auch an Herman Melville und seinen berühmten Roman "Moby Dick", in dem der einbeinige Kapitän Ahab einen Pottwal jagt.

Die Forscher entdeckten die Fossilien von Leviathan melvillei in der gleichen Gesteinsschicht, in der Reste des Riesenhais Carcharocles megalodon gefunden worden waren. Dieser Verwandte des Weißen Hais war ähnlich groß wie Leviathan und stellte seiner Beute mit einem ähnlich furchterregenden Gebiss nach. Im aufgerissenen Maul dieses Tieres hätte ein Mensch aufrecht stehen können. Biss der Hai zu, übten die Kiefer eine Kraft von mehr als zehn Tonnen aus und waren somit zehnmal stärker als der Weiße Hai, der einen der kräftigsten Bisse unter den heute lebenden Tieren haben soll. Megalodon und Leviathan jagten wohl beide große Tiere des Meeres. Bevorzugte Beute könnten die Bartenwale gewesen sein.

Die Bartenwale entwickelten sich, als die Antarktis vor 35 Millionen Jahren vereiste. Eiskalte Luft floss von den Eismassen in stürmischen Winden hinunter zum Ozean und kühlte dort das Wasser ab. Im Winter froren die Stürme um die Antarktis einen breiten Wassergürtel zu Packeis, das im September mit 20 Millionen Quadratkilometern doppelt so groß wie die USA war.

Schlaraffenland fürdie Tiere des Meeres

Im extrem kalten Wasser unter dem Eis konzentrierte sich das im Meer gelöste Salz. Dadurch wurde dieses Wasser schwer, es sank zum Grund, schoss als kräftiger Strom nach Norden und wirbelte dabei Nährstoffe auf, die von oben auf den Grund rieselten. Als die Antarktis vereiste, schwammen bald so viele Nährstoffe im Südpolarmeer, dass eine Art Schlaraffenland für Meerestiere entstand. Unmengen kleiner Lebewesen lebten im Wasser. Die Urwale bekamen riesige Mäuler, mit denen sie aus der dicken Suppe ihre Nahrung herausfiltern konnten.

Die ersten dieser "Bartenwale" genannten Meeressäuger fand Ewan Fordyce von der Otago University in Dunedin in den Kalksteinen des Waitaki-Tals in Neuseeland, die vor 20 oder 25 Millionen Jahren entstanden. Forscher fanden sie aber auch in den Gesteinen der peruanischen Küste, die die Fossilien des Riesenhais und des Leviathan beherbergten. Damals wie heute ernährten sich die Bartenwale wohl von den Kleinstlebewesen, die von den Nährstoffen lebten, die die kalte Meeressströmung vor Peru vom Grund des Pazifik aufwühlte. Und die Speckschicht, mit der sich die Bartenwale gegen Kaltwasser isolieren, versorgte die Tiere mit den größten Raubgebissen aller Zeiten mit Energie.