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Der Rechtspopulist von Béziers

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Mit 77.000 Einwohnern ist Béziers die größte französische Stadt, die von einem am rechten Rand stehenden Politiker regiert wird. Bei den Kommunalwahlen am Sonntag scheint Bürgermeister Robert Ménard die Wiederwahl sicher.


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Der Bürgermeister wirkt perplex, als es nach seiner Rede still im Saal der Stadtpolizei bleibt und die dutzenden Beamten keine Anstalten machen zu klatschen. Hat er nicht gerade bei der Vorstellung der Statistik lobend hervorgehoben, dass die Kriminalität in Béziers seit 2015 um 9 Prozent zurückgegangen ist? Versprach er nicht eben die Verdoppelung der Kameras zur Videoüberwachung im Fall seiner Wiederwahl in ein paar Tagen? "Sind die immer so ruhig?", fragt Robert Ménard den Chef der Stadtpolizei leicht irritiert, deren Beamtenzahl er seit 2014 fast verdreifacht und die er mit Schusswaffen ausgestattet hat. "Sie hören respektvoll zu", versichert dieser. Die Polizisten geben allerdings nicht einmal einen Mucks von sich, als der Bürgermeister ankündigt, in der Stadt bald Sensoren einzusetzen, die bei Bedarf die Sprachaufnahme "Kleiner Idiot, hör’ auf, gegen diesen Baum zu pissen" abspielen. Vielleicht in etwas gewählteren Worten, sagt Ménard, aber so etwas in der Art stelle er sich vor, um Männer vom Urinieren in der Öffentlichkeit abzuhalten.

Das dürfte der nächste Aufreger sein, wie sie der 66-Jährige, der sich selbst stolz als Rechtspopulist bezeichnet, schon etliche provoziert hat, seit er im Rathaus des südfranzösischen Béziers, zwischen Montpellier und Narbonne, sitzt. Ménard erklärte, es gebe zu viele muslimische Kinder in den Schulen, verbot das Rauchen von Shishas im Zentrum und strich die Morgen-Schulbetreuung für die Kinder von Arbeitslosen. Eine Straße zum Gedenken an das Ende des Algerienkriegs am 19. März 1962 benannte er um, handelte es sich für ihn doch um einen "Tag der Schande".

Unterstützung vom RN

Ménard ist selbst in Oran als Sohn von Algerienfranzosen ("Pieds Noirs") geboren, die das Land nach der Unabhängigkeit verlassen mussten und oft den kolonialen Zeiten mit Nostalgie nachhängen. Noch als Kind kam er nach Béziers. Jahrzehnte später ist er hier Bürgermeister. Mit seinen 77.000 Einwohnern handelt es sich um die größte Stadt in Frankreich, die von einem am rechten Rand stehenden Politiker regiert wird. Parteimitglied ist Ménard nicht, ließ sich aber vom Front National unterstützen, den Parteichefin Marine Le Pen inzwischen in Rassemblement National (RN) umbenannt hat.

© M. Hirsch

Traditionell schneidet die Partei in dieser Region stark ab. Zehn der 14 Rathäuser, die sie 2014 erobert hat, liegen im Süden. Bei den Kommunalwahlen am 15. und 22. März hofft der RN auf weitere Zugewinne, zum Beispiel auch in Perpignan. Hier hat Louis Aliot, früher Marine Le Pens Lebensgefährte und ein langjähriger Parteifunktionär, gute Chancen. Er tritt aber offiziell als Parteiloser an. Auch Ménard hält einen gewissen Abstand zum RN, auch wenn er als innenpolitischer Hardliner auf einer Linie mit Le Pen liegt. Dabei begann er in jungen Jahren als Trotzkist, trat zeitweise der Sozialistischen Partei bei, war bekannter Fernsehjournalist sowie Mitbegründer der Nicht-Regierungs-Organisation "Reporter ohne Grenzen", die sich weltweit für Pressefreiheit einsetzt.

Mit der Zeit rückten seine politischen Anschauungen aber nach rechts, insbesondere seit der Begegnung mit seiner vierten Frau Emmanuelle, die streng konservativ-katholischen Kreisen nahesteht. 2017 ließ sich die frühere Juristin bei der Internationalen Liga für Menschenrechte mit Unterstützung des RN in die Nationalversammlung wählen. Manche Dinge, sagt Ménard heute, bereue er aber, wie eine Fotomontage auf dem Titel des Stadtmagazins, die mittellose Flüchtlinge zeigte, die vermeintlich auf einen Zug nach Béziers warten, daneben die drohende Aufschrift: "Sie kommen!" Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Provokation zum Rassenhass. Zumindest bleibe er im Gespräch, meint Ménard: "Wer kannte Béziers, bevor ich Bürgermeister wurde? Ständig gebe ich Journalisten Interviews."

Der langjährige kommunistische Stadtrat Aim Couquet findet, Mnard sei ein Opportunist. Holzer

Schnell im Angriffsmodus

Zimperlich geht er mit seinen ehemaligen Kollegen aber nicht um. Wenn Ménard, klein gewachsen und schmal gebaut, spricht, durchdringt seine Stimme die hohen, hellen Räume des Besprechungsraums im Rathaus. Schnell wechselt er von seiner zunächst leutseligen Art in einen Angriffsmodus. "Wie können Sie nur eine solche Dummheit von sich geben?", donnert er immer dann, wenn er mit Vorwürfen der Opposition konfrontiert wird. "Völliger Blödsinn" sei etwa der Einwand, dass die Einführung einer privaten Zusatz-Krankenversicherung für die Bürger von Béziers nur jenen zugutekomme, die sich bereits mehr als die medizinische Grundversorgung leisten können - das ist in einer der ärmsten Städte Frankreichs, wo jeder Dritte unter der Armutsgrenze lebt, keine Selbstverständlichkeit. Konfrontiert mit dem Vorwurf seiner Gegner, er sei rassistisch, gibt er zurück: "Und wie, bitteschön, kommt es dann, dass ich bei der Wahl mit einer absoluten Mehrheit auf Anhieb rechnen kann? Die Opposition ist tot, zerstört!"

Tatsächlich sagt ihm eine Umfrage mit 61 Prozent der Stimmen einen klaren Vorsprung vor allen anderen Kandidaten voraus. Der Politologe Emmanuel Négrier sieht Ménards Erfolg als Ausdruck der "Hoffnung auf eine starke Autorität, einen Chef, der sich der lokalen Bevölkerung direkt stellt". Jeden Mittwochnachmittag empfängt Ménard Bürger im Viertelstundentakt, die mit ihren Anliegen zu ihm kommen. Manche klagen über Streit mit dem Nachbarn, andere über ihre gesundheitlichen Probleme. Der Bürgermeister, der sonst so scharf austeilen kann, hört dann geduldig zu. Ménard sei sehr präsent und nenne die Dinge beim Namen, sagt Fatima Allaoui. Die 42-jährige Psychologin hat 2014 nicht für ihn gestimmt, ist heute aber zufrieden: "Er hat die Innenstadt aufgewertet mit Renovierungsarbeiten entlang der zentralen Allee und der Plätze. Es gibt mehr Beleuchtung und mehr Sicherheit durch zusätzliche Polizisten." Obwohl Béziers mit dem TGV in vier Stunden direkt von Paris zu erreichen ist, in einer touristischen Region liegt und einen historischen Stadtkern hat, zieht es nur wenige Besucher an.

Auch wenn sie ihn nicht gewählt hat, ist Fatima Allaoui zufrieden mit Mnard. Holzer

Ménard verspricht, den Tourismus zu fördern, um die hohe Arbeitslosigkeit von 13,3 Prozent zu senken. Industrie gibt es kaum mehr in der einstigen Arbeiterstadt. Auch der Weinbau, der früher durch die massenhafte Herstellung von billigem Wein viele Jobs schuf, ging stark zurück. "Ich mag an Béziers die Ruhe und die kurzen Wege. Ich finde immer schnell einen Parkplatz", sagt Fatima Allaoui.

Leere Schaufenster

An diesem kühlen März-Nachmittag wirkt die Stadt ausgestorben. Viele Schaufenster sind leer, in manchen hängt ein Schild: "zu vermieten". Das weiße Riesenrad, das Ménard am Fuß der zentralen Allee aufstellen ließ, steht still. Bei den meisten Restaurants handelt es sich um Schnellimbisse, vor allem um Döner-Läden, deren Neueröffnung der Bürgermeister per Dekret verbieten wollte, denn sie passten nicht zur "jüdisch-christlichen Tradition" Frankreichs. Noch so eine Polemik, mit der er über die Stadtgrenzen hinaus von sich reden machte.

"Teile und herrsche", das sei Ménards Motto, sagt Aimé Couquet, langjähriger kommunistischer Stadtrat, der nun mit 76 Jahren in den politischen Ruhestand geht. Er sitzt im Wahlkampfbüro der Kommunisten, die mit anderen linken Parteien ein gemeinsames Ziel verfolgt: "Befreien wir Béziers von Ménard!" So steht es auf einem Wahlplakat. Der Bürgermeister, so Couquet, sei ein Opportunist, der ideologisch von links nach rechts wanderte und Politik auf Basis von Angstmache mache: "Für alle Probleme sucht er Sündenböcke: die Muslime, die Ausländer, die Obdachlosen." Hilfsorganisationen, die ihm nicht passten, kürzte er die Subventionen. Einen Verein für die Gratis-Essensausgabe an Bedürftige vertrieb er vom zentralen Platz.

Hoffnungslos im Plattenbau

Warum ist Ménard trotz dieser antisozialen Politik und seiner Kritik an der Migration so beliebt in einer Stadt, die einen hohen Anteil an sozial Schwachen und Bürgern mit Einwanderungshintergrund hat? Er sei eben gut in Kommunikation, sagt Couquet. "Viele halten ihm die Renovierung der Fassaden im Zentrum zugute. In Wahrheit starteten die meisten Programme schon vorher!" Die sozialen Brennpunkte hingegen würden vernachlässigt. Tatsächlich herrscht ein scharfer Kontrast zwischen den stolzen Stadthäusern und den Plattenbauten im Viertel La Devèze, wo Ménard selbst aufwuchs. Drei junge Männer in Jogginghosen und mit nach hinten gegelten Haaren lehnen hier vor einem unbewohnten, abbruchfälligen Gebäude. "Nique la Mumu" ("Fick’ die Bullen") steht in Sprühschrift darauf. Die Männer rauchen einen Joint. Von Robert Ménard halten sie nichts. "Ich glaube ihm nicht, dass er hier aufgewachsen ist. Der ist doch keiner von uns", sagt einer der drei. Ob er am Sonntag wählen gehe, wisse er noch nicht. "Und wenn, dann nicht ihn." Wen dann? Er zuckt die Achseln. Die Hoffnung auf Änderung ist gering - ob auf einen Job oder einen neuen Bürgermeister.