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Der Reiz der Diktatur

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Es ist wieder so weit: Das hohe Lied auf den Tatmenschen hat wieder Hochkonjunktur, schließlich hat das US-Magazin "Forbes" soeben seine Liste der mächtigsten Persönlichkeiten veröffentlicht.


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"Flüsse umleiten, Städte bauen, Kritiker einsperren und das Internet zensieren, ohne von nervtötenden Bürokraten oder Gerichten aufgehalten zu werden" - so argumentiert das Magazin seine diesjährige Wahl von Chinas Staatschef Hu Jintao zur Nummer eins. Er verdrängt US-Präsident Barack Obama auf Platz zwei. Auf Rang drei folgt der saudische König Abdullah, der Papst ist Fünfter, Angela Merkel Sechste - Österreicher finden sich erwartungsgemäß nicht auf der Liste.

Die Wahl Hus ist Wasser auf den Mühlen all derer, die autoritären Systemen mit ihrer Mischung aus gesteuertem Kapitalismus und beinharter Diktatur attestieren, in Sachen Wirtschaftsentwicklung dem liberalen Demokratiemodell westlichen Zuschnitts haushoch überlegen zu sein.

Zweifellos stimmt, dass sich Demokratien zunehmend quälend langen Prozessen unterwerfen, bis Entscheidungen feststehen. Und auch dann gibt es Mittel und Wege zuhauf, weiter zu verzögern. Verständlich, dass da manche am Willen und der Fähigkeit zum Gestalten zu (ver)zweifeln beginnen.

Entscheidend aber ist: Liegt der Fehler im System oder in der Praxis?

Unser Problem sind nicht Bürger, die mitreden und mitentscheiden wollen. Unser Problem sind Politiker und Parteien, denen Führungsverantwortung - und die damit zwingend verbundene Standfestigkeit - abhanden gekommen ist. Dazu zählt auch, die Bürger mit unbequemen, aber eben unausweichlichen Wahrheiten zu konfrontieren, Lösungen aufzuzeigen und für diese mit überzeugenden Argumenten zu werben.

Stattdessen gehen unsere gewählten "Regenten auf Zeit" mit Vorliebe den Weg des geringsten Widerstands: Sie erarbeiten Scheinlösungen, die lediglich auf Zeit spielen, setzen Symbolik an die Stelle von Gestaltungswillen und scheuen heiße Eisen wie der Teufel das Weihwasser.

Kurzum: Demokratie ist allen anderen Staatsformen prinzipiell überlegen. Optimierungsbedarf besteht beim Personal - und das schließt durchaus auch die Wähler mit ein.