Zum Hauptinhalt springen

Der Reiz der Spontanität sticht

Von Hannah Felsberger und Tobias Kurakin

Politik

Impfungen ohne Anmeldung sollen Diskussionen um eine Impfpflicht obsolet machen - die Aktion ist ein Erfolg.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Hektisches Kugelschreiber-Klicken ist die Begleitmusik auf den Impfstraßen. Es wird schnell gekritzelt, um sich eine Impfung zu sichern. Wer einen Termin und einen ausgefüllten Aufklärungszettel hat, kann bereits vor zur nächsten Linie. Die ohne Termin müssen zuerst den Bogen mit den vielen Fragen ausfüllen, um sich anzustellen.

Seit Mitte Juli ist es möglich, sich spontan gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Die Anmeldung zu einer Corona-Impfung scheint kein großer Aufwand zu sein. Bereits zu Hause können Interessierte den Zettel ausfüllen und damit, ohne warten zu müssen, zur Impfstraße fahren. Einige bevorzugen es jedoch, eher spontan zu kommen. Bernhard Kittel, stellvertretender Vorstand des Instituts für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien, meint, dass alle Personen, die das spontane Impfgebot wahrnehmen, jene sind, deren Meinungen über der Covid-Schutzimpfung als eher gleichgültig eingestuft werden kann. Sie würden grundsätzlich keine dezidierte Meinung für oder gegen die Schutzimpfung aufweisen. Ein Lokalaugenschein zeichnet dazu ein vielfältiges Bild der Kurzentschlossenen.

Der Lohn der Anmeldung ist eine Spritze und die damit verbundene Freiheit. Mehr als 66 Prozent der impfbaren Bevölkerung sind mittlerweile zumindest einmal gegen das Coronavirus geimpft worden. Aktuelle Befragungen ergaben, dass 76 Prozent der impfbaren Bevölkerung eine Bereitschaft haben, sich immunisieren zu lassen. Während bereits in einigen Branchen über eine Impfplicht nachgedacht wird, soll auch das Spiel mit der Spontanität dafür sorgen, dass diese Lücke geschlossen wird.

Die fehlenden zehn Prozent der Bevölkerung, die aus den unterschiedlichsten Gründen noch warten, sollen so zum Stich gelockt werden. Laut der Politologin Katharina Paul von der Universität Wien hätten bisher unter anderem Alltagshürden verhindert, dass einige generell Impfwillige sich die Impfung abholen. Kinderbetreuung, Arbeitsbedingungen oder Pflegeverpflichtungen hätten Paul zufolge einen Großteil der bis dato ungeimpften Bevölkerung von einer Impfung abgehalten. Die Impfung ohne Anmeldung ließe diese Planbarriere deutlich sinken. "So geht es viel spontaner und auch in der Freizeit. Der Aufwand, den Impfwillige nun auf sich nehmen müssen, wird viel geringer."

Die Spontanität lässt keinen Platz zum Nachdenken

Im Austria Center (ACV) tummeln sich viele Impfwillige. Viele haben einen Termin. Andere kommen spontan vorbei. Vincent Haberet aus Deutschland ist seinen in Wien arbeitenden Bruder besuchen. "Ich war lange unsicher. Die Geschichten, die man über AstraZeneca gehört hat, haben mich skeptisch werden lassen." Haberet ist glücklich, sich selbst überredet zu haben, dennoch wirkt er nervös. Mehrere Minuten liest er den Fragebogen durch, dabei klickt er hektisch mit dem Kugelschreiber. Das Gespräch mit der "Wiener Zeitung" kommt ihm als Abwechslung genau recht, er antwortet ausführlich und erzählt von seiner Liebe zu Wien und Österreich. Impfgegner sei er nie gewesen, nur zwischendurch verängstigt und unsicher. "Das spontane Angebot bot mir die Gelegenheit, ohne viel nachzudenken, eine Impfung abzuholen", sagt der Politikwissenschaftsstudent.

Das Angebot mit der Spontanität ist gut angelaufen. Am ersten Tag als mit Biontech/Pfizer spontan geimpft wurde, erhielten in Wien fast 4.200 Menschen einen Stich. Bei den Impfboxen im Rathauscontainer haben sich mit Stand von Montag 2.511 Personen stechen lassen, heißt es von der Stadt Wien. Schlechter fallen die Zahlen am Impfboot an der Alten Donau aus, hier haben sich 106 Personen impfen lassen, beim Stadionbad 262 und auf der Donauinsel 1.297.

Der Pensionist Erich Vlcek ist einer der Profiteure des neuen Angebots: "Mir war es bisher nie möglich, einen Termin auszumachen. Das Anmelden über das Internet hat mich einfach überfordert, und mir konnte keiner helfen. Umso glücklicher bin ich über das Angebot der Stadt". Vlcek braucht die Impfung, wie er sagt. Er leide schon seit längerem an Herzproblemen und nicht am Coronavirus erkranken. Dass er zuvor keine Hilfe bei der Anmeldung in Anspruch nahm oder zu seinem Arzt ging, um die Impfung zu erhalten, begründet er etwas verhalten mit Zeitmangel.

Sprachliche Barriere verhindern Anmeldung von Impfwilligen

Während der Pensionist sich um seine Gesundheit Sorgen macht, klicken neben ihm weitere Kugelschreiber. Im Umkreis von fünf Metern füllen knapp 30 Leute die Formulare aus. Dabei geben sie an, welche Medikamente sie zu sich nehmen, ob sie bereits am Virus erkrankt waren und ob eine Operation anstehen würde. Die meisten von ihnen füllen den Zettel schnell aus. Sie wollen die Impfung ohne viel Aufwand hinter sich bringen. Mohamed Abkhondi aus Somalia schleicht aber durch die Reihen. Immer wieder schaut er auf, versucht, sich neben Leute zu stellen, die gerade ihren Zettel ausfüllen. Sie sind aber zu schnell für ihn, er will schon aufbrechen, überwindet sich dann doch und fragt nach Hilfe. Die Anmeldezettel beim Austria Center vor den Impfboxen sind nur auf Deutsch erhältlich. Abkhondi und seine Helfer verständigen sich gewissermaßen mit Händen und Füßen, um den Anmeldezettel auszufüllen. Die Vollständigkeit macht den Mann überglücklich. Er setzt bei seinen Helfern zu einer Umarmung an, zögert ob der Abstandsregeln und tätschelt ihnen, die Maske weit über die Nase gezogen, doch eher die Schulter.

Während Abkhondi die sprachliche Barriere mit Hilfe bewältigt, springen andere spontan Entschlossene über ihren eigenen Schatten. "Ich gebe der Mehrheit nach, ich war lange skeptisch und unsicher - für eine Anmeldung konnte ich mich nie überwinden", sagt Tarlak Sajjan. Für ihn sowie für Fatimir Feka geht es nach dem Prinzip "Augen zu und durch". Feka ist noch immer skeptisch und unsicher, sie hat aus einigen Berichten über mögliche Nebenwirkungen gelesen, die schlimmer sein sollen als eine Corona-Infektion. Nun hat sie aber nachgegeben, füllt ihren Zettel aus und stellt sich an. "Ich folge nun der Mehrheit und hoffe darauf, dass sie recht hat.

Auch keine Impfpflichtwirkt als Mahnmal

Die Mehrheit der Österreicher ist derzeit gegen eine Impfpflicht - 70 Prozent lehnen eine solche laut Erhebungen des Austrian Corona Panel Projects von der Universität Wien ab. Paradoxerweise kann genau die Angst vor einer Impfpflicht für einige die Motivation sein, sich impfen zu lassen. "Ich bin Koch und lasse mich heute impfen, um nicht später dazu gezwungen zu werden", meint ein Mann, der seinen Namen nicht preisgeben möchte.

Er habe sich spontan für die Impfung entschieden, um nicht später in der Arbeit zugeben zu müssen, dass er noch nicht geimpft sei, wenn eine Impfpflicht kommen würde. Für die Gastronomie ist derzeit eine solche aber ohnehin nicht angedacht. Auch wenn Branchenobmann Mario Pulker vergangenen Donnerstag eine solche forderte.

Die Corona-Impfung als Einstellungskriterium, das nun bereits in mehreren Branchen angedacht wird, überzeugte zumindest einen.

Robert Doner bekam am Montag die Nachricht, dass er eine Ausbildungsstelle als Pflegefachassistent antreten darf. "Zugegeben, ich war vorher lange skeptisch, weil die Impfung aber eine Voraussetzung für die Stelle ist, kann ich nicht anders - ich bin also gleich nach der Zusage hierhergekommen, um mich impfen zu lassen", so Doner.

Ähnlich spontan holte sich auch der Teenager Adrian seine Impfdosis ab. Nach der Zusage für einen Praktikumsplatz in der Kaserne bei der Rochusgasse hatte sich der Teenager dazu entschieden, zum Austria Center zu fahren. Mit leicht zittriger Stimme und einem verschwitzten Lächeln im Gesicht erzählt er über seine Skepsis. Er zitiert Artikel, die über schwere Nebenwirkungen berichteten, die ihn verunsicherten. Trotz der Angst und der Skepsis nimmt Adrian aber den Zettel in die Hand, füllt ihn schnell aus und reiht sich in die Schlange ein. Sein Blick ist noch immer nicht vollends überzeugt. Nervös tritt er immer wieder leicht am Stand. Es vergehen keine fünf Minuten, die Adrian warten muss, ehe er zu einem Arzt durchgewunken wird. Auch Adrian, der selbsternannte Skeptiker ist nun geimpft - spontan, und nicht völlig überzeugt. Hinter ihm klicken bereits die nächsten Kugelschreiber und weitere Kurzentschlossene beginnen damit den Anmeldebogen auszufüllen.