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Bundespräsident Karl Renner war ein übler Antisemit. Seinen Namen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, ist gerade deshalb nicht wünschenswert.
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Vor 75 Jahren, am 3. April 1938, gab der ehemalige sozialistische Staatskanzler Karl Renner dem "Neuen Wiener Tagblatt" ein Interview, in dem er erstmals zum Anschluss seiner Heimat an Nazi-Deutschland Stellung nahm: "Ich müsste meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie auch als deutsch-österreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der Deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte." Die Freude dürfte freilich auch andere Gründe gehabt haben, denn der nachmalige österreichische Bundespräsident war nicht nur ein überzeugter Anhänger des Anschlusses, sondern auch ein übler Antisemit, selbst nach den Maßstäben seiner Zeit. Schon 1920 forderte er die Lösung der "Judenfrage" und "ein Amt, das endlich das uralte Programm des Judenpogroms erfüllt, einen Spezialminister für Judenfragen". Eine politische Forderung, die bekanntlich ein Vierteljahrhundert später besonders nachhaltig erfüllt wurde. Nach diesem Mann ist heute nicht nur ein Abschnitt des Wiener Rings - ausgerechnet vor dem Parlament - benannt, sondern auch ein bekannter Journalistenpreis (den 1992 auch ich bekommen und angenommen habe), die Parteiakademie der SPÖ und ein üppig dotierter Preis der Stadt Wien für "Personen, die sich hervorragende Verdienste um Wien in kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Belangen erworben haben". 2010 hat die nach dem wüsten Antisemiten und Anschlussbejubler benannte Auszeichnung übrigens der Verein "Steine der Erinnerung" bekommen, dessen Zweck es ist, "der jüdischen Opfer des Holocausts zu gedenken und die Erinnerung an das jüdische Leben und die jüdische Kultur vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wach zu halten". Die Stadt Wien hat eben Humor. Angesichts der problematischen Überzeugungen Renners wäre eine Umbenennung all der nach ihm benannten öffentlichen Räume, Preise und Institutionen durchaus vertretbar. Dass die SPÖ zwar dem Antisemiten Karl Lueger seinen Ring-Abschnitt nimmt, nach dem wesentlich wüsteren Antisemiten Renner aber nach wie vor ihre Parteiakademie benennt, zeugt jedenfalls nicht eben von übermäßiger Souveränität der eigenen Geschichte gegenüber. Doch vielleicht ist gerade das ein gutes Argument gegen Umbenennungen. Denn paradoxerweise ist zu erwarten, dass gerade bei Beibehaltung eine ausführliche und intensive mediale Diskussion über den Fall Renner losbrechen wird, die auch künftige Generationen über dessen üble Haltung auf dem Laufenden hält. Nur solange er im öffentlichen Raum so präsent ist wie jetzt, bleibt das Wissen um seinen Antisemitismus einer breiteren Öffentlichkeit erhalten. Verschwände er hingegen aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit wie nun (teilweise) Lueger, versänke er wohl samt seiner Judenfeindlichkeit und Anschlussbegeisterung endgültig im Dunkel der Geschichte. So kann man es auch als Beitrag der Stadt Wien zur politischen Bildung verstehen, wenn sie sich selbst nach so langer Zeit so schwer tut, Renner als das zu begreifen, was er war.
ortner@wienerzeitung.at