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Der Rest der Welt begehrt gegen die USA auf, bleibt aber in deren Geiselhaft

Von Stefan Melichar

Analysen

Manchmal kann es schnell gehen: In einem demnächst erscheinenden Buch, aus dem das britische Magazin "Economist" vorab zitiert hat, verweist Berkeley-Ökonom Barry Eichengreen darauf, dass noch 1914 der US-Dollar im internationalen Wirtschaftsgeschehen keine Rolle gespielt habe. Bis zum Jahr 1925 überholte der Greenback dann das britische Pfund als führende Währung für staatliche Devisenreserven.


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Der Erste Weltkrieg hatte Europa in eine derartige Krise gestürzt, dass sich die USA rasch zur führenden Wirtschaftsmacht entwickeln konnten. Zwar wurde diese Rolle - und auch jene des Dollar als globale Leitwährung - erst nach dem Zweiten Weltkrieg quasi offiziell einzementiert, für den grundsätzlichen Richtungswechsel im System der Weltwirtschaft waren jedoch nur wenige Jahre notwendig.

Nun könnte sich die Geschichte wiederholen - wenn auch mit anderen Vorzeichen: Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ist von den USA ausgegangen. Aufstrebende Schwellenländer, die sich deutlich rascher wieder erholt haben als die meisten westlichen Staaten, spüren Oberwasser - und halten mit ihrem neuen Selbstbewusstsein nicht hinter dem Berg.

Wurde nach dem Fall der Sowjetunion auf internationaler Bühne in erster Linie nach der Pfeife der Amerikaner getanzt, markiert der am Freitag in Seoul zu Ende gegangene Gipfel der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer nun einen Paradigmenwechsel: Erstmals haben ehrgeizige Zukunftsmächte wie China oder Brasilien die USA offen und erfolgreich auflaufen lassen - etwa, was Lösungen für die Beseitigung globaler wirtschaftlicher Ungleichgewichte anbelangt. Ebenfalls bitter für die US-Führung ist, dass auch Teile Europas (vor allem Deutschland) dem US-Führungsanspruch brüsk Einhalt gebieten.

Es ist nicht zuletzt die rasant wachsende Staatsverschuldung, die erstmals gravierende Zweifel am Land der sonst unbegrenzten Möglichkeiten aufkommen lässt. Finanziert wird das US-Defizit nämlich nicht nur durch die Gelddruckmaschine der amerikanischen Zentralbank, sondern zu einem Gutteil durch ausländische Kreditgeber, die Staatsanleihen kaufen - allen voran China. Nun holen diese Länder die Amerikaner von ihrem Sockel und reden mit ihnen zunehmend wie Gläubiger gegenüber einem problematischen Schuldner.

Genau das ist aber der Grund, warum ein rascher Absturz der USA nicht zu erwarten ist. Jeder Gläubiger, der zu viel Geld an einen einzelnen Kreditnehmer vergeben hat, befindet sich letztlich in dessen Geiselhaft: Weltweit entfallen mehr als 60 Prozent der staatlichen Währungsreserven auf den Dollar. Zwei Drittel der Gesamtreserven von 8400 Milliarden Dollar liegen in Schwellenländern, jede Schwäche der USA ist deren Verlust.

Solange keine Exit-Strategie aus dieser Abhängigkeit vorliegt, sind Zugeständnisse wie Stimmrechtsverschiebungen beim Internationalen Währungsfonds pure Kosmetik.