Der Westen verliert international an Bedeutung. Was das heißt, ist Thema der Münchner Sicherheitskonferenz.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bis jetzt hat der Westen im internationalen politischen Gefüge immer den Ton angegeben, doch damit ist es vorbei: Wenn sich Vertreter der Mächtigen dieser Welt am Freitag in München zur jährlichen Sicherheitskonferenz einfinden, wird der Bedeutungsverlust Europas und der USA ein zentrales Thema sein. Im "Munich Security Report 2020", der als Diskussionsgrundlage der Veranstaltung dient, wird die bange Frage gestellt wie die Welt wohl aussähe, wenn global nach den Regeln Chinas gespielt würde. Den Beteuerungen Pekings, nicht die Nummer eins werden zu wollen, schenkt man hier jedenfalls keinen Glauben.
"Westlessness" ist die zentrale Wortkreation für diese Entwicklung, und es ist durchaus der Westen selbst, der sich in die Randlage manövriert. In Europa und in den USA werden fundamentale liberale Werte in Frage gestellt, gleichzeitig gibt es immer weniger Bereitschaft, in den zahllosen internationalen Konflikten eine führende Rolle zu übernehmen. Russland und China füllen diese Lücke nur zu gerne aus. Großmachtrivalitäten nehmen international wieder zu, und das, nachdem für viele nach dem Kollaps des Kommunismus 1989 die Sache bereits erledigt und entschieden schien.
Die Machtlosigkeit der EU
"Ein gemeinsames Verständnis darüber, was es bedeutet, Teil des Westens zu sein, nimmt zusehends ab", heißt es in einer Aussendung der Veranstalter der Münchner Sicherheitskonferenz, die sich weltweit als wichtigste ihrer Art etabliert hat. Erwartet werden mehr als 35 Staats- und Regierungschefs sowie 100 Außen- und Verteidigungsminister. So werden sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der kanadische Premier Justin Trudeau und US-Außenminister Mike Pompeo im Hotel Bayerischer Hof einfinden. Mit dabei ist wieder Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, den Außenminister Alexander Schallenberg begleitet.
"Wir haben mehr Krisen, mehr schlimme Krisen, mehr grauenhafte Vorgänge, als man sich vorstellen kann", sagte Wolfgang Ischinger, langjähriger Organisator des Großereignisses im Vorfeld. Den Botschafter und überzeugten Europäer schmerzt vor allem, dass die Europäische Union bei der Lösung internationaler Konflikte - etwa in Syrien, im Jemen, in Afghanistan oder in Libyen - immer noch keine Rolle spielt. "Wieso sind wir eigentlich so total unfähig, irgendeinen Beitrag zu leisten, den Krieg in Syrien zu beenden?", klagt Ischinger. Ihm werde "schlecht", wenn er "auf die Zustände in Syrien, im Irak und in Libyen" schaue. Grund für die Machtlosigkeit der EU sei die Tatsache, dass die Union außenpolitisch immer noch nicht mit einer Stimme spreche. "Solange wir die Kakophonie von 27 möglichen Vetos bei jeder außenpolitischen Entscheidung haben, würde ich als Schwabe sagen: Da ist Hopfen und Malz verloren", meint Ischinger, der sich für die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in diesem Bereich einsetzt.
Auch um die militärische Schlagkraft Europas ist es nicht gut bestellt. Nach einer Analyse des britischen Thinktanks IISS wäre Europa nach derzeitigem Stand nicht in der Lage, einen Angriff Russlands auf das Baltikum zurückzudrängen. Spätestens seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump will sich die EU militärisch von den USA emanzipieren. So soll das Beschaffungswesen vereinheitlicht, sollen die Kräfte gebündelt werden. Viele werden allerdings das Gefühl nicht los, dass die Anstrengungen bis jetzt wenig konkrete Resultate gebracht haben.
Die Erwartungen sind groß, dass Präsident Macron in München neue Impulse liefert. Der Franzose will unter anderem über eine gemeinsame Nuklearstrategie reden: So soll die nukleare Abschreckung für Europa gestärkt werden. Die französischen Nuklearstreitkräfte, die nicht mit der Nato koordiniert sind, sollen künftig auch dem Schutz Europas dienen. Gleichzeitig will Macron eine Initiative für nukleare Abrüstung starten - abgestimmt mit den Europäern und mit der Nato.
Neues Klima-Interesse
Eröffnet wird die Konferenz vom deutschen Bundespräsidenten Frank-
Walter Steinmeier. Eine "Nabelschau des Westens" soll ausdrücklich nicht stattfinden. Stattdessen werden Entscheidungsträger und Experten aus der ganzen Welt über Brennpunkte von Libyen über den Persischen Golf bis hin zu Ostasien diskutieren. Mit Interesse wird beobachtet, welchen Stellenwert diesmal die sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels einnehmen werden - und wie die Reaktion des Publikums ausfällt. Im vergangenen Jahr gab es eine Diskussionsrunde zum Thema im Ballsaal des Hotels, bei der die dramatischen Auswirkungen einer Klimaerwärmung um angenommene drei Grad veranschaulicht wurden. Teile Afrikas und Lateinamerikas wären dann unbewohnbar und andere, wie Florida, stünden völlig unter Wasser. Erstaunlich, dass das Interesse der Konferenzteilnehmer an der Thematik vergleichsweise limitiert war. Möglich, dass das Engagement der Klimaaktivistin Greta Thunberg nun ein neues Bewusstsein geschaffen hat.
Sebastian Kurz wird nach Angaben des Bundeskanzleramtes an einer Podiumsveranstaltung mit Kanadas Regierungschef Trudeau, der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg und der liberalen slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova zum Thema "Westlessness in the West: What are we defending?" teilnehmen. Kurz soll danach ein Gespräch mit Solberg führen, geplant ist ebenso ein Treffen mit Chinas Außenminister Wang Yi. Dabei soll es unter anderem um die Bekämpfung des Coronavirus gehen. Auf dem Programm des Kanzlers steht offenbar auch eine Unterredung mit Facebook-Chef Mark Zuckerberg.