Japans Wirtschaft schrumpfte im dritten Quartal, kommt es zu Neuwahlen?
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Tokio. Es war ein unerwarteter Schock für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt: Anstatt des von Experten erwarteten Zuwachses zeigten Japans Konjunkturdaten des Quartals von Juli bis September ein überraschendes Minus an. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Japans Wirtschaft stürzte in die dritte Rezession in vier Jahren. An der Tokioter Börse gaben daraufhin die Aktienkurse nach, der Yen verlor weiter an Wert und fiel im Vergleich zum Dollar auf den niedrigsten Wert seit sieben Jahren.
Kabinettssprecher Yoshihide Suga sagte, dass zweifelsohne die Erhöhung der Mehrwertsteuer - von fünf auf acht Prozent - im April zu den schlechten Daten geführt habe. Viele Konsumenten hatten Käufe vorgezogen und damit die Wirtschaft im ersten Quartal angeschoben. 60 Prozent des japanischen Bruttosozialprodukts sind abhängig von der Binnennachfrage. Während manche Firmen einen gewissen Einbruch im zweiten Quartal erwartet hatten, waren die meisten von einer Erholung zum Herbst ausgegangen. Doch da viele Verbraucher die Preise stärker steigen sahen als ihr Einkommen, schränkten sie ihren Konsum ein.
Lockere Geldpolitik
Schon seit einigen Wochen wurde daher in Japan diskutiert, ob die für Oktober 2015 vorgesehene zweite Erhöhung der Konsumsteuer von acht auf zehn Prozent wie geplant durchgeführt werden soll. Nähme Premier Shinzo Abe davon Abstand, könne es dazu führen, dass Anleger das Vertrauen in die japanische Wirtschaft verlören, hieß es lange. Nun haben die Konjunkturdaten Abe die Möglichkeit zu einem Aufschub gegeben. Nach seiner Rückkehr vom G20-Gipfeltreffen in Australien am Montagabend deutete der Regierungschef an, dass die Erhöhung um 18 Monate nach hinten verschoben werde.
Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Konjunkturdaten wurde bereits vor einer Woche Abes angebliche Absicht in Umlauf gebracht, noch diese Woche das Unterhaus aufzulösen und am 14. Dezember Neuwahlen abzuhalten. Experten vermuten, dass sich Abe der Unterstützung seiner "Abenomics" getauften Wirtschaftsstrategie versichern will: Über eine extrem lockere Geldpolitik, erhöhte Fiskalausgaben und ein Paket an Strukturreformen, deren Wirkung zunehmend angezweifelt wird, versprach Abe vor zwei Jahren, Japan aus zwei Jahrzehnten der Deflation herauszuführen.
Opposition schwächelt
Selbst Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) überraschte die Andeutung von Neuwahlen. LDP-Generalsekretär Shigeru Ishiba forderte von Abe, seine Beweggründe offenzulegen: "Der Premierminister weiß am besten, dass er nicht einfach das Unterhaus auflösen sollte, nur weil ihm danach ist."
Aber genau das werfen ihm Kritiker vor. Der Premier wolle unter anderem die Schwäche der zersplitterten Opposition ausnutzen und von Skandalen um die Verwendung politischer Gelder durch zwei seiner Ministerinnen, die zurücktreten mussten, ablenken. Für viele Wähler hat jedoch die Rettung der schwächelnden Wirtschaft Priorität. Sie würden sich darüber ärgern, sollten ihre Steuergelder für Neuwahlen ausgegeben werden. Dabei hatten nicht wenige Abe gerade gewählt, weil er und seine Partei Stabilität und Kontinuität in Japans ständig neu besetztem Politikzirkus versprachen.
Wahlentscheidend dürfte die Frage der Mehrwertsteuererhöhung sein. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei (DPJ), zu sehen, von ihrer unter Ex-Premierminister Yoshihiko Noda selbst vorgeschlagenen Steuererhöhung am Freitag unerwartet Abstand zu nehmen. Sie fordert, die Steuer auf acht Prozent zu belassen. Manche Ökonomen sagen hingegen, dass die Regierung ihre relativ hohen Zustimmungsraten nutzen müsse, um den unbeliebten Schritt zu setzen und so dringend benötige Gelder in die Staatskasse zu spülen. Japan hat ein enormes Staatsdefizit von mehr als 240 Prozent des BIP. Zudem steigen die Sozialausgaben für die überalternde und schrumpfende Gesellschaft rapide an.
Niederlage für Regierung
Eine Lokalwahl in Okinawa, der südlichsten, jüngsten und ärmsten Präfektur Japans, versetzte Abes Regierung am Sonntag einen weiteren Schlag. Der von ihr favorisierte Amtsinhaber, Hirokazu Nakaima, hatte gegenüber seinem langjährigen Wahlleiter Takeshi Onaga das Nachsehen. Onaga bekam mehr als die Hälfte aller Stimmen in einer Wahl, die von der Regierung in Tokio und von Japans wichtigstem Bündnispartner, den USA, aufmerksam beobachtet wurde. In Okinawa ist die Mehrzahl der US-Militärbasen in Japan angesiedelt.
Onaga sagte, er habe gewonnen, weil er auf die Stimmen der Bewohner von Okinawa gehört habe - anders als Abe. Die Menschen in der Provinz hätten genug davon, dass auf ihrem Land, auf gerade einmal 0,6 Prozent der Landfläche Japans, 74 Prozent der US-Militäreinrichtungen angesiedelt seien. "Okinawa hat sich nie freiwillig dafür gemeldet, den USA Land zur Verfügung zu stellen. Das wurde mit Bulldozern und Zwang erreicht!" Okinawa gilt gerade im Hinblick auf China als geopolitisch wichtigster Stützpunkt der USA in Asien.