Zum Hauptinhalt springen

Der Rhythmus des Lebens

Von Monika Jonasch

Reflexionen
© fotolia

Musik und Rhythmus sprechen die Emotionen an, berühren den Menschen auf teils unbewusste Art und Weise. Damit lässt sich auch der menschliche Körper beeinflussen, was im Fall von seelischen wie körperlichen Störungen heilende Ressourcen mobilisieren kann.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Herz klopft in einem ganz bestimmten Rhythmus, lässt das Blut durch die Arterien rauschen, der Kreislauf arbeitet, Schlaf- und Wachrhythmus bestimmen unseren Tag - der menschliche Körper ist ein Uhrwerk voller spezifischer Rhythmen. Bei Stress, Anspannung, und Krankheiten geraten bestimmte Rhythmen im Körper aus dem Gleichgewicht, stolpern aus dem Takt.

Was den urzeitlichen Schamanen und Heilern der Frühzeit ebenso bewusst war wie den Philosophen der griechischen Antike und Eingang in die alten Religionslehren in Indien, China und Ägypten fand, nämlich dass der Mensch als Gesamtes berücksichtigt werden muss, um geheilt werden zu können und Musik dafür ein unvergleichliches Hilfsmittel darstellt, das entdeckt die moderne Medizin in Form von Musiktherapie erst seit einigen Jahrzehnten wieder neu.

Musik als Medizin. Bestimmte Rhythmen beruhigen, andere wirken anregend. Musik kann positive Stimmungen erzeugen und die körpereigenen Heilungsprozesse unterstützen. So banal das klingen mag, hat es unzählige Forscher und Studien und viele Jahrzehnte sowie einige groteske Fehlschlüsse gebraucht, um diese Erkenntnisse für die moderne Medizin festzuschreiben. Inzwischen bestreiten auch eingefleischte Schulmediziner nicht mehr, dass Herzschlag und Atmung, ja sogar die Hirnstromkurve, der Blutdruck und der Hormonhaushalt auf Rhythmen bzw. Musik positiv reagieren.

Geforscht wurde an Koma- und Schlaganfallpatienten, an Menschen, die durch Schmerzen extremer Anspannung ausgeliefert waren, ebenso wie an psychisch Erkrankten. Die Ergebnisse der vielfältigen Studien waren eindeutig: Fand man die richtige Musik, den richtigen Rhythmus, so entspannte sich der Patient, Schmerzen wurden als weniger intensiv wahrgenommen und die medikamentöse Unterstützung konnte teils erheblich reduziert werden. Sogar der Krankheitsverlauf konnte - beispielsweise bei Krebspatienten - positiv beeinflusst werden. Musik machte Schmerzen offenbar erträglicher, half den Betroffenen zu einer positiveren Einstellung, vermittelte ihnen ein Gefühl der Kontrollierbarkeit ihrer Krankheit.

Der Mozart-Effekt. Eine so mächtige "Medizin" rief naturgemäß viele Forscher auf den Plan, manche beschritten dabei Irrwege oder wurden falsch verstanden. So verkündete 1993 eine US-Forschergruppe um Frances H. Rauscher und Gordon Shaw vom Center for Neurobiology of Learning and Memory der University of California, Irvine im Fachmagazin "nature", dass Mozarts Sonate für zwei Klaviere in D-Dur (KV 448) zu kurzfristigen Leistungssteigerungen führe. Die 36 untersuchten Studenten schnitten nach dem Hörexperiment auch im Intelligenztest deutlich besser ab.

Der Artikel fand ein unglaubliches Echo. Eine ganze Industrie versuchte auf den sogenannten "Mozart-Effekt" aufzuspringen. Bereits Säuglinge wurden mit den Klängen des Musikgenies beschallt, um sie intelligenter zu machen.

Dann kam die große Ernüchterung: Ausgerechnet Wiener Wissenschafter entzauberten die Musik des Genies. Forschungsleiter Jakob Pietschnig und sein Team nahmen sich die mittlerweile 39 Studien mit insgesamt 3000 Testpersonen vor und kamen zu dem Ergebnis: Alles nicht wahr. Wer gerne Mozart hört, solle es tun. Gescheiter werde man dadurch nicht, jedenfalls nicht wissenschaftlich nachweisbar.

Musiker denken anders. Was jedoch unbestritten scheint, ist die Tatsache, dass Gehirne von Musikern und Nichtmusikern unterschiedlich arbeiten und aussehen. So kam man nach vielfältigen Studien zu dem Ergebnis, dass die grauen Zellen von Musikern besser vernetzt sind als jene von Nicht-Musikern. Die Verbindung der beiden Gehirnhälften ist bei ihnen breiter, was die motorische Kontrolle der Arme und Beine ebenso wie die Aufmerksamkeit verbessert. Intelligenter sind Musiker zwar nicht, wohl aber ist ihre Merkfähigkeit besser.

Auch der Spracherwerb dürfte durch ein musikalisch trainiertes Gehör und Gehirn erleichtert werden, denn Sprache besteht aus Lauten, aus Rhythmus und Melodie, ist also eine verwandte Disziplin und wird von ähnlichen Gehirnarealen verarbeitet wie Musik. Das würde auch die bei Profimusikern oft ausgeprägte Sprachbegabung erklären.

Kinderkram. Nicht erst seit dem Mozart-Effekt versuchen ehrgeizige Eltern ihre Kinder bereits im Säuglingsalter zu besseren, gescheiteren, leistungsfähigeren Menschen zu machen. Tatsächlich reagieren schon Ungeborene und Neugeborene auf Musik. Sie bewegen sich spontan zum Rhythmus, wenn auch nicht unbedingt synchron. Rhythmusgefühl ist also angeboren, allerdings verändert es sich im Laufe der Zeit und passt sich kulturell an. Dies fanden Erin Hannon von der Cornell-Universität im US-amerikanischen Ithaca und Sandra Trehub von der kanadischen Uni Toronto heraus. Sie publizierten ihre Studie in der Fachzeitschrift "Psychological Science", in der sie untersuchten, wie unterschiedlich Menschen verschiedener Kulturen mit Rhythmen umgehen.

Von einfachen, westlichen Rhythmen geprägte Erwachsene konnten demnach in den komplexeren Rhythmen der südosteuropäischen oder indischen Musik keine eingebauten Fehler erkennen. Hingegen war es für Einwanderer aus Balkanländern kein Problem, in einfachen ebenso wie in komplexeren Rhythmen die Fehler zu entdecken.

Besonders interessant fanden die Forscher, dass Kleinkinder im Alter von etwa einem halben Jahr in beiden Rhythmusgebilden Fehler ausmachen konnten. Daraus schloss man, dass die Verarbeitung von rhythmischen Strukturen zu Beginn des Lebens sehr flexibel ist. Gewöhnung an eine bestimmte Taktstruktur scheint im Gehirn später jedoch für eine Umorganisation zu sorgen. Danach werden nur noch die gewohnten Rhythmen entsprechend wahrgenommen.

Geschmackssache. Wer mit Musik Leib und Seele berühren will, muss wissen, was er da tut. Noch vor weniger als zehn Jahren war es üblich, generelle Empfehlungen zur Wahl der angemessenen Musik zu geben, also: Klassik für Entspannung, Rock und Pop zur Anregung, sogar klassische indische Musik und Country sollten für bestimmte Auswirkungen im Körper zuständig sein.

Allerdings, wer sich vor Augen hält, dass kein Mensch wie der andere ist und daher auch die Vorlieben für Musik sehr unterschiedlich sind, hätte es eigentlich gleich wissen müssen: Nur, wer die Musik mag, die er hört, kann sich dabei auch entspannen.

Vor einigen Jahren untersuchten 207 britische Schulen in Zusammenarbeit mit der BBC mehr als 8000 Kinder zwischen zehn und elf Jahren. Man wollte herausfinden, wie die Kids lernten, wenn sie dabei Musik hörten. Das Ergebnis hat wohl viele Klassik-Fans unter den Forschern erschüttert: Blur und Oasis, welche die damals beliebtesten Ohrwürmer in den Äther sandten, stellten sich als wesentlich wirksamere Lernhilfen heraus als Mozart.

Rezeptfreie Medizin. Inzwischen ist man etwas vorsichtiger geworden, generelle Musikempfehlungen herauszugeben. Vielmehr heißt es sinngemäß: Nur was gefällt, das wirkt auch. Und das muss man erst individuell austesten, denn wichtig ist die emotionale Verbindung des Menschen mit bestimmten Musikstücken.

So entspannen die einen besser mit Jazz, die anderen mit Wiegenliedern und einige eben mit Mozart oder anderen Klassikern. Wichtig ist auch, zwischen anregenden und nicht anregenden Rhythmen zu unterscheiden, denn egal ob Klassik oder Pop, der Körper passt seine Taktung dem Takt der Musik an.

Wo Körper und Geist je nach Bedürfnis und Geschmack mit der entsprechenden musikalischen Nahrung gefüttert werden, leisten sie jedoch tatsächlich Außergewöhnliches. Zwar wird der Mensch nicht gescheiter von der Beschallung, lernt und arbeitet aber womöglich effizienter, hat weniger Ein- und Durchschlafprobleme, braucht weniger Schmerzmittel und Blutdruckmedikamente, ist positiver gestimmt und kann körperliche wie seelische Probleme damit besser angehen.