Erstmals sollte in einem US-Gerichtssaal ein KI-Chatbot zum Einsatz kommen. War der Protest dagegen gerechtfertigt?
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Sie kennen das: Ihre Parkstrafe ist ungerechtfertigt, ihr im Internet bestellter Sportschuh ist nach zehn Wochen kaputt - aber so wie laut einer deutschen Umfrage 70 Prozent aller Konsumentinnen und Konsumenten würden Sie nicht auf ihr Recht pochen oder es gar einklagen. Der Aufwand und die Hürden sind dabei einfach zu groß. Und es gibt auch in der Regel keine Anwältin, die hier ein Angebot hat.
Genau diese Nische schließt DoNotPay, ein englisches Legal-Tech-Unternehmen, das vor etwa zehn Jahren mit einem Strafzettel-Chatbot begonnen hat und tausenden Menschen in Großbritannien geholfen hat ungerechtfertigte Parkstrafen einfach und gesetzeskonform zu beeinspruchen. Die Logik dahinter ist klar: Ein digitaler, regelbasierter Katalog - vulgo Chatbot - fragt einzelne Kriterien ab und gibt dann als Ergebnis eine Einschätzung ab, ob eine Beeinspruchung des Strafzettels sinnvoll wäre.
Aus dem Legal-Tech-Start-up ist inzwischen ein richtig großes Legal-Tech-Unternehmen geworden, das für immer mehr rechtliche Themen Lösungen anbietet. Mehr als zwei Millionen Konsumentenfälle hat es bereits bearbeitet und aufbereitet und entsprechend viele (strukturierte) Daten sammeln können. Über die Jahre haben sich die Technologie und auch die Machine-Learning-Möglichkeiten weiterentwickelt. Das hat auch große Investorinnen und Investoren überzeugt, die mit gut 28 Millionen US-Dollar in das Wachstum von DoNotPay investieren.
Diese Pionierarbeit wurde nun genutzt, um eine spektakuläre Klage in den USA vorzubereiten und einzubringen: So kündigte DoNotPay an, erstmals einen mit einer Künstlichen Intelligenz verbundenen Chatbot in einem US-Gerichtssaal in Echtzeit einzusetzen. Und das auch noch mit echter gesprochener Sprache: Die im Hintergrund mitlaufende KI sollte per Mikrofon jedes Wort im Gerichtssaal mithören und anhand dieser mündlichen Information passende Antworten erstellen und direkt dem Kläger oder dem Beklagten ins Ohr "flüstern". Dieser könnte dann in Echtzeit seine beziehungsweise die Argumente der KI vorbringen. Damit, so die Idee, hätte endlich jeder Beteiligte im Gerichtssaal eine echte Chance auf eine rechtliche und fachliche Vertretung.
Sechsmonatige Haftstrafe angedroht
So weit so spektakulär. Kurz vor dem erwarteten Prozesstag allerdings hat Joshua Browder, CEO von DoNotPay, das Ganze überraschend zurückgezogen beziehungsweise verschoben. Denn nur in einer sehr eingeschränkten Anzahl von Gerichtssälen ist ein Mikrofon überhaupt erlaubt (bei einem solchen Gerichtsstand wurde daher auch die Klage von DoNotPay eingebracht) und dann auch eher nur als Hörhilfe und nicht für Aufzeichnungen.
Den Ausschlag für die Absage gab aber vor allem eine Drohung der Anwaltsstandesvertretung (Bar Association) gegenüber Browder: Sie stellte eine sechsmonatige Haftstrafe in den Raum, womit ihm das Ganze verständlicherweise doch zu riskant wurde. Die Standesvertretung schritt ein, weil sie die geschützte Berufsausübung der Anwältinnen und Anwälte bedroht sah.
Es bleibt also spannend, ob DoNoPay seine Robin-Hood-Pläne weiter verfolgen kann, und die Zukunft wird zeigen, ob sich künftig auch Roboteranwälte ihren Weg in die Gerichtssäle bahnen und Menschen zu ihrem Recht verhelfen können, zu dem sie sonst keinen Zugang hätten. Oder ob Anwältinnen und Anwälte vielleicht bald eigene (digitale) Lösungen für diese Thematik anbieten werden.
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