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Der richtige Lockdown-Zeitpunkt wurde verpasst

Von Simon Rosner

Leitartikel

Im Gegensatz zum März war die Regierung nun zu spät dran. Deshalb sind härtere Maßnahmen als in anderen Ländern nötig.


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Im März hat sich die Bundesregierung, zurecht, als ,early mover' gerühmt. Sie hat zwar im Wesentlichen keine anderen Maßnahmen beschlossen als andere Länder. Aber sie war früh dran. Das war in einer Phase der Pandemie, als in Europa die Menschen gerade das richtige Händewaschen lernten; in einer Phase mit täglichen Wachstumsraten von 30 Prozent und darüber. Der scharfe Lockdown war, jedenfalls aus der damaligen Perspektive betrachtet, alternativlos, und wie man recht bald sah, war der Zeitpunkt wichtig.

Diesmal hat ihn die Regierung verpasst. Dieser Kritik muss sie sich stellen. Das lässt sich auch daran ermessen, dass sie bei der Schließung von Lokalen, Kultur- und Sporteinrichtungen am 3. November selbst von einem Zeitraum von bis zu 14 Tagen gesprochen hat, bis die kontaktbeschränkenden Maßnahmen Wirkung zeigen und die Infektionszahlen zu fallen beginnen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat dies bei der Pressekonferenz am Samstag sogar wiederholt, und das sind auch die Erfahrungen aus anderen Ländern im Herbst. In Tschechien dauerte es exakt 14 Tage, bis es nachhaltig zurückging, in den Niederlanden, die Schulen und den Handel bis heute offen ließen, waren es 17 Tage. Österreich schärft aber nun nach nur 11 Tagen nach und vollzieht genauso scharfe Kontaktbeschränkungen wie im Frühjahr. (Juristisch gesehen sogar schärfere, da im März Besuche bei Freunden nicht verboten waren, die Regierung kommunizierte das nur).

Das lässt zwei Schlüsse zu. Entweder ist die Regierung zu ungeduldig und wartet die selbst gesetzte Frist nicht ab. Oder sie war beim Teil-Lockdown am 3. November zu spät dran und hat nicht mehr die Zeit, die Wirksamkeit der Maßnahmen abzuwarten. Diese Erklärung ist naheliegender, da die meisten anderen Länder in Europa bei Inkrafttreten der Kontaktbeschränkungen eine geringere Inzidenz aufwiesen als heute Österreich.

Merkwürdig ist jedoch, dass sich die Prognosen des Gesundheitsministeriums vom 4. November genau an die tatsächliche Entwicklung gehalten haben. Bei der Belegung auf den Intensivstationen offenbart das Modell von damals sogar eine leichte Überschätzung. Man prognostizierte für diesen Samstag rund 680 Patienten, tatsächlich sind es nun 584. Irrte man bei den Gesamtkapaziät? Las man die eigenen Prognosen nicht?

Geradezu unveständlich ist das Feintuning beim Lockdown. Während in den Niederlanden an einem Dienstag die Lokal-Sperrstunde für den Mittwoch angekündigt wurde, nahm man in Österreich das Wochenende noch mit - ausgerechnet jenes an Halloween. Dass es dann zehn Tage später neue Infektionsrekorde gab, ist eher keine Überraschung. Und auch an diesem Samstag wurden Baumärkte und Einkaufszentren geradezu gestürmt, nachdem am Freitag die Handelsschließungen die Runde machten. No na.

Es ist schon nachvollziehbar, dass die Regierung lieber auf Nummer sicher gehen will, denn eine Garantie, dass die Maßnahmen vom 3. November tatsächlich nächste Woche wirken, gibt es nicht. Und wenn nicht, würde Österreich auf eine Gesundheitskatastrophe zusteuern. Doch was, wenn kommende Woche der Teil-Lockdown doch seine Effektivität entfalten sollte? Wie eben in den Niederlanden. Dann müsste sich die Regierung erklären. Am besten bei einer weiteren Pressekonferenz.

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