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Der rot-rote Klassenkampf

Von Clemens Neuhold und Brigitte Pechar

Politik

SPÖ sagt die sechste Urlaubswoche ab und lässt die Gewerkschaft damit alleine.


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Wien. "Arbeit, von der man leben kann", "Mieten, die man sich leisten kann", "Die Partei der Arbeit". Ein rotes Plakat fehlt im Wahlkampf der SPÖ: "Urlaub, der einem zusteht." Es kommt auch nicht mehr. Denn die SPÖ hat das Thema sechste Urlaubswoche von ihrer Agenda gestrichen, bestätigen mehrere Parteiinsider der "Wiener Zeitung".

Ein Rückschlag für die Gewerkschaft, ist die sechste Urlaubswoche doch ihr neues Lieblingsthema. Derzeit haben nur Arbeitnehmer Anspruch darauf, die 25 Jahre im selben Betrieb waren. Doch auf wen trifft das heute noch zu? Deswegen sollten künftig auch jene in den Genuss kommen, die öfters Job wechseln.

Heikel: Beim großen Bundeskongress am 18. Juni will der Gewerkschaftsbund ÖGB das Thema groß trommeln. Vielleicht auch deswegen wollte weder in der Gewerkschaft noch in der Partei jemand dazu Stellung nehmen.

Im Frühjahr sah es jedenfalls noch so aus, als würde die ÖGB-Forderung zur Parteilinie, da brachte sie der Sozialminister und frühere ÖGB-Boss Rudolf Hundstorfer öffentlich ins Spiel.

Was bewirkte den Schwenk? Interne Umfragen. Die Partei klopfte Wahlkampfthemen ab und kam drauf: "Den Menschen ist die Sicherheit des Arbeitsplatzes derzeit wichtiger als mehr Urlaub", so ein Parteiinsider.

Die Kampagnen von Vertretern der Wirtschaft, die auf das Hundstorfer-Statement folgten, zeigten offenbar Wirkung. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung schossen aus allen Rohren gegen die sechste Urlaubswoche und drohten, Stellen zu streichen, sollten sich die Kosten pro Arbeiter durch die sechste Urlaubswoche verteuern.

Erbschaftssteuer ist nicht gleich Erbschaftssteuer

Beim wichtigsten Thema der SPÖ für den Wahlkampf, den Reichensteuern, ziehen SPÖ und Gewerkschaft an einem Strang. Doch auch hier passt mehr als ein Blatt Papier zwischen den starken Arm der Arbeiter und jenem der Arbeiterpartei.

Die SPÖ fordert eine Erbschaftssteuer und eine Vermögenssteuer ab einer Freigrenze von einer Million Euro. Die Gewerkschaft setzt deutlich darunter an. Die Vermögenssteuer soll über einem Freibetrag von 700.000 Euro greifen, die Erbschaftssteuer schon ab 150.000 Euro, ist im Leitantrag der Gewerkschaft für den Bundeskongress zu lesen. Was dort steht, gilt. Aber eben nicht für die SPÖ.

Die hat die Millionengrenze bewusst gewählt. Denn sie propagiert die Vermögenssteuer und die Erbschaftssteuer als "Millionärssteuer". Damit will sie Otto-Normal-Verdienern und Häuslbauern die Angst vor neuen Steuern nehmen und zeigen, dass es eh nur die "G‘stopften" trifft. Die Gewerkschaft macht ihr dabei das Leben schwer. Denn die Gegner der Reichensteuern - von ÖVP über FPÖ bis hin zur Wirtschaftskammer - schmeißen der SPÖ genüsslich die ÖGB-Zahlen um die Ohren, um der Mittelschicht zu signalisieren: Ihr seid betroffen.

Klassen-Kampf um das Sagen bei den Lehrern

Direkt in die (ähnlich frisierten) Haare würden sich ÖGB-Chef Erich Foglar und Bundeskanzler Werner Faymann deswegen nie geraten, auch wenn Milliarden zwischen den Vorschlägen liegen.

Anders beim Dauerbrenner Lehrerdienstrecht, das seit Jahren vergeblich verhandelt wird. Vergangene Woche riss Faymann der Geduldsfaden. Und er stellte den Blockierern auf Gewerkschaftsseite die Rute ins Fenster. Er erinnerte daran, dass ein Lehrerdienstrecht allenfalls auch ohne Zustimmung der Gewerkschaft noch vor der Wahl etabliert werden könnte.

Foglar erklärte darauf hin, man könne so eine wichtige Sache nicht gegen die Betroffenen durchsetzen. Es werde daher gut sein, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen und weniger den Zeitpunkt als die Qualität im Auge zu haben.

Eine unmissverständliche Aufforderung des ÖGB-Bosses an Parteifreund Faymann, interne rote Linien zu beachten und der Gewerkschaft nicht dreinzureden. Und er wurde noch deutlicher. Einem solchen Gesetz müsste die Mehrheit im Parlament zustimmen. Was dabei unausgesprochen mitschwang: Im Parlament sitzen zahlreiche Funktionäre der Gewerkschaft in den Reihen der SPÖ. Wenn die ihren Arm bei der Abstimmung unten lassen, scheitert das Gesetz. Im Wahljahr wäre das eine schöne Blamage für die Partei.

Aber es ist ja ohnehin noch nicht sicher, ob das Lehrerdienstrecht überhaupt noch vor der Wahl zur Abstimmung kommt. Denn derzeit sind SPÖ und ÖVP noch sehr weit voneinander entfernt. Und am Freitag haben die Grünen zusätzlich Öl ins Feuer gegossen: Sie fordern nämlich eine 30-stündige Anwesenheit der Lehrer an den Schulen.

Ein klares Njet zum Verbot selbstständiger Pflegerinnen

Eine fette rote Linie zwischen Partei und Gewerkschaft hat wiederum Sozialminister Rudolf Hundstorfer in der Frage der 24-Stunden-Pflege eingezogen. Im jetzigen System, das 2008 gegen den drohenden Pflegenotstand etabliert wurde, betreuen rund 35.000 Osteuropäerinnen, vorwiegend aus der Slowakei, betagte Menschen daheim. Vor 2008 waren sie illegal im Land, dann durften sie einen Gewerbeschein lösen und wurden legalisiert.

Die Betreuerinnen sind selbständig, sozialversichert und verbringen je zwei Wochen beim Kunden und zwei Wochen daheim.

Der ÖGB will, dass die 24-Stunden-Pflege künftig von Angestellten und nicht mehr von Selbstständigen erledigt wird. Denn jetzt sei oft "Ausbeutung" im Spiel. Außerdem gibt die Gewerkschaft zu bedenken, dass die Pflegerinnen aus dem Osten ausbleiben könnten, wenn die Löhne in der Heimat gestiegen sind. Im Leitantrag fordert der ÖGB nicht weniger als ein Verbot des jetzigen Systems. Die selbstständigen Osteuropäerinnen würden dann verstärkt durch heimische Arbeitskräfte ersetzt, die bei Trägerorganisationen wie dem Hilfswerk, der Volkshilfe oder der Caritas angestellt wären.

Doch von Hundstorfer kam ein klares Njet zur ÖGB-Forderung. Hintergrund: Es wäre unleistbar. Damit teilt er die Kritik von Caritas und Volkshilfe an dem Vorstoß, die sich aus demselben Grund gegen eine Umstellung wehren. Das Hilfswerk setzt die Mehrkosten bei rund einer Milliarde Euro an. Denn dann kämen all die Kosten für Nachtarbeit, Wochenendarbeit oder Arbeitslosenversicherung dazu, die jetzt durch die Pflege auf Honorarbasis entfallen.

Und am Schluss geht

es immer ums Geld

Die Gewerkschaft widerspricht. Ihr Modell sei sehr wohl leistbar. Denn sie setzt die Kosten durch die Systemumstellung nur bei 300 Millionen Euro an. Und außerdem -und hier schließt sich der Kreis - gebe es ja eine neue Finanzierungsquelle für die Pflege. Erraten: Die Erbschaftssteuer. Die Mittel daraus sollten für die Pflege zweckgebunden werden, wird im Leitantrag angeführt.

Mit einer Erbschaftsteuer erst ab einer Grenze von einer Million Euro, wie es die Sozialdemokratie fordert, geht sich das aber natürlich nicht aus.