Verfassungsrichter entschieden bisher stets zugunsten des Parlaments.
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Wien. Der Ruf nach mehr direkter Demokratie wird immer lauter. Doch die Gegner - vor allem in den Reihen von ÖVP und SPÖ - blocken diesbezügliche Bestrebungen mit dem Argument ab, sie widersprächen "dem Verfassungsgrundsatz der repräsentativen Demokratie" (Zitat ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf), also dem Primat des Parlaments.
Aber wo steht eigentlich der Verfassungsgrundsatz der repräsentativen Demokratie? In der Verfassung jedenfalls nicht. Dort heißt es in Artikel 1: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Somit läge es ja eigentlich nahe, dass mehr Entscheidungen direkt vom Volk getroffen werden.
Die Systementscheidung gegen die plebiszitäre und für die repräsentative Demokratie hat der Verfassungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen getroffen. Etwa bei der Aufhebung der Bürgermeisterdirektwahl in mehreren Bundesländern 1993 oder der Bestimmung der Vorarlberger Landesverfassung 2001, wonach ein Gesetz per Volksabstimmung auch gegen den Willen der Mehrheit des Landtages beschlossen werden kann. Aus Sicht der Verfassungsrichter intendierten die Urheber der Verfassung, dass Gesetzesentscheidungen eben nicht durch das Volk, sondern durch die Volksvertreter gefasst werden.
Für den Grazer Politikwissenschafter und Verfassungsexperten Klaus Poier geht diese Interpretation "zu weit". Er würde eine stärkere Einbindung der Bürger "als Korrektiv des Parteiensystems" begrüßen, denn in Wirklichkeit würden nicht die Abgeordneten die Entscheidungen treffen, sondern kleine Eliten innerhalb der Parteien. Für eine Änderung bräuchte es laut Poier aber nicht bloß eine Neuinterpretation, sondern eine Volksabstimmung, da dies einer Gesamtänderung der Verfassung entspreche.
Laut Grünen-Verfassungssprecherin Daniela Musiol stünde es der Politik gut an, Reformen zu mehr Beteiligung umzusetzen. Sie fordert, dass Volksbegehren ab einer bestimmten Unterschriftenzahl dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden müssen. Neben diesem Initiativrecht will Musiol für die Bürger aber auch das Recht, gegen beschlossene Gesetze ein Vetoreferendum zu ergreifen, etwa mit 100.000 Unterschriften. Musiol fordert von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die zuletzt selbst Präferenzen für mehr direkte Demokratie erkennen ließ, dazu eine parlamentarische Enquete.
Ein Modell von Initiative und Referendum wie in der Schweiz hält auch Poier für eine "gute Idee". Allerdings brauche es eine rechtsstaatliche Kontrolle, um sicherzustellen, dass nicht etwas beschlossen wird, das der Verfassung oder der Menschenrechtskonvention widerspricht.
"Dürfen nicht kapitulieren vor ,Kronen-Kampagnen"
Mehr direkte Demokratie, also mehr sachpolitische Abstimmungen würden auch mehr Kampagnen bedeuten. Dass da etwa die "Kronenzeitung" mit Kampagnenjournalismus nach bekannten Mustern massiven Einfluss nehmen könnte, ist für Musiol "durchaus ein Problem". Aber davor dürfe man nicht kapitulieren.
Poier sieht das weniger problematisch: "Der Einfluss der Medien ist letztlich begrenzt, denn die Menschen lassen sich nicht alles einreden." So habe das Bildungsvolksbegehren "trotz akkordierter Medienkampagne ein bescheidenes Ergebnis" erzielt. Für Poier würde grundsätzlich überwiegen, "dass wieder mehr über politische Themen diskutiert wird".