Politik in Deutschland ist uneins über schärfere Gesetze.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Berlin. Berlin bleibt gelassen. Auch am zweiten Tag nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz gehen Polizei und Stadtregierung gefasst und souverän vor. Während aus Bayern eine härtere Gangart in der Flüchtlingspolitik und schärfere Sicherheitsmaßnahmen gefordert werden, wählt man in Berlin einen ruhigen Ton.
Ja, es werde mehr Polizisten auf den Straßen geben. Doch eine verstärkte Videoüberwachung lehnt man ab, darauf verwies auch Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen am Mittwoch noch einmal und unterstützte damit Innensenator Andreas Geisel (SPD). Am Freitag wird die Stadtregierung zu einer Sondersitzung zusammenkommen und über mögliche verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für größere Veranstaltungen sprechen. Die CSU nimmt sich derweil nicht zurück. "Wir brauchen jetzt eine starke Staatsgewalt", sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. "Wir müssen alles auf den Prüfstand bringen." In den kommenden Wochen will die bayrische CSU-Schwester Vorschläge für neue Sicherheitsmaßnahmen erarbeiten.
Eine Abwägungsfrage
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft plädiert dagegen für eine "gesellschaftliche Debatte": Wo ziehe man die Grenzen in einer offenen Gesellschaft?, sagt er im "Deutschlandfunk". "Ist es akzeptabel, dass wir ähnlich wie in Frankreich mit gepanzerten Fahrzeugen durch die Straßen patrouillieren, welche Gefühle vermittelt das?" Man stehe vor der Abwägungsfrage, inwieweit man eine offene Gesellschaft schützen könne - und was Technik und Datenüberwachung beitragen sollen. Auch die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP tritt für Zurückhaltung ein. Sie wolle nun nicht als Verteidigerin der Bundesregierung gelten, es sei doch aber bereits ein Sicherheitspaket nach dem anderen auf den Weg gebracht worden. Man habe auch die Regelungen für Abschiebungen verschärft. Die Politik sei alles andere als untätig.
Auch am Mittwoch beschloss die Bundesregierung weitere neue Sicherheitsgesetze - wenn auch nicht als unmittelbare Reaktion auf den Anschlag am Montagabend. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte schon länger eine Adaption im Blick. In privaten Räumen, in denen aber öffentliches Leben stattfindet - etwa auf Parkplätzen oder in Einkaufszentren -, kann nun die Videoüberwachung einfacher ausgeweitet werden. Auch sollen Bundespolizisten Körperkameras einsetzen und für Fahrzeugkennzeichen ist die Nutzung von speziellen Lesesysteme geplant.
Bundeswehr im Inneren
Der CSU geht das nicht weit genug. Der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn schlägt am Mittwoch außerdem vor, die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen, als Unterstützung der Polizei - ein Vorschlag, der umgehend von Sozialdemokraten, Grünen, Linkspartei, aber auch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zurückgewiesen wird. Auch für ihren Ton zur Flüchtlingspolitik bekommt die CSU am Mittwoch viel Kritik. Fest stehe doch, dass man Flüchtlinge nicht pauschal verurteile, kontert der bayrische Innenminister Joachim Herrmann am Mittwoch im "Deutschlandfunk". "Aber die Risiken sind offenkundig und davor dürfen wir nicht die Augen verschließen." Geht es nach AfD-Chefin Frauke Petry, soll die Herkunft von Straftätern künftig per DNA-Analyse ermittelt werden. Rechtlich ist das bisher nicht möglich. Den Vorwurf des Rassismus weist Petry zurück: "Der genetische Fingerabdruck wirkt antirassistisch, weil er unschuldig Verdächtigte auf wissenschaftliche Weise entlastet", sagt sie.
Forderungen nach strengeren Maßnahmen hört man allerdings nicht nur aus der CSU und der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" - mit denen die CSU freilich nicht in Verbindung gebracht werden will. Auch Boris Palmer ist der Ansicht, dass man in der Asylpolitik nicht mehr "so großzügig" sein kann wie in der Vergangenheit. Der grüne Spitzenpolitiker und Bürgermeister der süddeutschen Stadt Tübingen ist für seinen für Grüne mitunter unkonventionellen Kurs bekannt. Doch dass der Anschlag eine Folge der deutschen Flüchtlingspolitik sei, will Palmer so nicht sagen: "Zu frühe Schlussfolgerungen sind immer falsch." Auch sei es "naiv" zu glauben, dass der selbsternannte "Islamische Staat" Attentäter nur über Asylanträge ins Land bringen könnte. Das zeige schließlich Frankreich, das kaum Flüchtlinge aufgenommen habe. Fest stehe aber, dass es mehr Abschiebungen geben müsse, findet Palmer. "Für uns Grüne ist das eine schwere Diskussion." Da aber die Zahl der Flüchtlinge stark gestiegen sei, müssten auch die "Standards andere" sein.