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Rechtspopulist Wladimir Schirinowski will am Sonntag zweitstärkste Kraft im russischen Parlament werden.
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Moskau. Kotelett, Kascha und Kompott. "Das nenne ich mal ein richtiges Essen!", frohlockt Wladimir Schirinowski. Die Studenten, die neben ihm am Tisch sitzen, sind unter dem Licht der Fernsehkameras zur Regungslosigkeit erstarrt. "Wisst ihr, im Westen bekommt man ja nichts mehr auf den Teller, das zuvor im Boden gewachsen ist", sagt der Rechtsnationalist großväterlich und hebt, wie er dies so gerne tut, drohend den Finger: "Alles künstlich!" Dann wendet sich Schirinowski zu den Journalisten: "Wir werden von Bauern aus dem Moskauer Umland beliefert", doziert er. "Das ist das leckerste und billigste Mensa-Essen von ganz Russland!"
Heute hat der 70-Jährige einen weißen Kittel über seinen glänzend-grauen Anzug geworfen. Es ist ein Heimspiel: Schirinowski ist gekommen, um im Moskauer Zentrum die Mensa des "Instituts für Zivilisationen", das er selbst gegründet hat, zu inspizieren. Patriotisch-bizarr gegen den Westen wettern und es dabei mit der Wahrheit nicht so genau nehmen: ein typischer Schirinowski-Auftritt. Am Eingang zählt eine Digitalanzeige den Countdown bis zum "Sieg" - den Parlamentswahlen am Sonntag - herunter. Nach dem Essen werden die Studenten für Selfies mit dem Politiker Schlange stehen. Zu Ehren des Gründers ist im Innenhof eine Statue aufgestellt. Ein Bronze-Bildnis aus jüngeren und auch schlankeren Jahren.
Der 70-Jährige will am Sonntag mit seiner "Liberal-Demokratischen Partei Russlands" (LDPR) zum ersten Mal seit 1995 die zweitstärkste Partei in der Duma werden. Umfragen des unabhängigen - jüngst ins Visier des Kreml geratenen - Lewada-Instituts sehen die Partei mit 14 Prozent nur knapp hinter den Kommunisten (15 Prozent), aber deutlich hinter der Putin-Partei "Einiges Russland" (50 Prozent). Keine andere Partei hat so viel wie LDPR für ihre Wahlkampagne ausgegeben, so die Daten der Zentrale Wahlkommission.
Stacheldraht-Phantasien
Den Namen der "Liberal-Demokratischen Partei Russlands" darf man dabei nicht allzu wörtlich nehmen. Denn Schirinowski vertritt einen populistischen, ultra-nationalistischen bis rassistischen Kurs. Rumänien? Von italienischen Zigeunern besetzt. Die Weltwirtschaft? Von Juden beherrscht. Noch lange vor Donald Trumps Idee, eine Mauer an der US-mexikanischen Grenze zu bauen, schlug Schirinowski vor, einen Stacheldrahtzaun durch den Nordkaukasus zu ziehen, um Russland vor Muslimen zu schützen. Je nach außenpolitischer Konjunktur soll einmal Washington, Istanbul oder Berlin im atomaren Staub verpuffen.
"Viele Jahre wurde die LDPR als Skandalpartei wahrgenommen", sagt Alexander Poschalow vom kremlnahen Institut für sozial-ökonomische und politische Forschung. Doch zuletzt hätte Schirinowski seine Rhetorik merklich zurückgeschraubt, um auch gemäßigte Wähler anzusprechen. Zugleich sind mit der Ukraine-Krise und den Spannungen mit dem Westen radikale Positionen in der Außenpolitik, die Schirinowski immer wieder von der Tribüne schleuderte, zunehmend salonfähig geworden. "Eine Stimme für LDPR bei den Dumawahlen ist wie ein Signal von den Wählern, die stark unter der sozial-ökonomischen Krise leiden und mit der Arbeit der russischen Regierung unzufrieden sind", so Poschalow weiter, "aber zugleich die Außenpolitik unter Präsident (Wladimir) Putin unterstützen."
Ist Schirinowski nun Polit-Clown, Neo-Faschist oder ein russischer Donald Trump?
Schirinowski, in Kasachstan als Sohn eines polnischen Juden geboren, hat sich zuletzt - wie auch Putin selbst - immer salbungsvoll über den republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten geäußert. So sehr, dass er zuletzt - freilich laut eigenen Angaben - sogar eine DNA-Probe nach Washington geschickt haben soll, um eine mögliche familiäre Verwandtschaft mit dem Amerikaner auszutesten.
Im politischen System hat Schirinowski jedenfalls einen fixen Platz eingenommen. Bereits 1989 gegründet, war die LDPR-Partei nach dem Zerfall der Sowjetunion in jeder Staatsduma vertreten. Bei der letzten Wahl 2011 landete sie mit 11,7 Prozent der Stimmen aber nur auf Platz vier hinter der Kreml-Partei Einiges Russland, den Kommunisten, der sozialdemokratischen Partei Gerechtes Russland - aber noch vor der kremlkritischen Jabloko-Partei.
Die LDPR gibt sich als Protestpartei, als Kämpfer für den kleinen Mann. Auf den Plakaten verspricht sie den Bauern mehr Land, den Oligarchen Vergeltung und den Arbeitern einen Mindestlohn von 20.000 Rubel (274 Euro). Bei Abstimmungen in der Duma, dem russischen Parlament, macht Schirinowski derweil mit der Putin-Partei gemeinsame Sache.
Putins Puffer nach rechts
Es kann dem Kreml wohl nur recht sein, wenn die LDPR am Sonntag zulegen kann: Denn die Unzufriedenheit wird dabei in eine Partei kanalisiert, von der keine wirkliche Oppositionsarbeit zu erwarten ist. Schirinowski ist ein Krawallmacher, aber kremltreu. "Putins Puffer nach rechts", wie ihn Jan Matti Dollbaum von der Forschungsstelle Osteuropa der Uni Bremen zuletzt genannt hat. "Was wir zu tun haben, wissen wir", sagt Schirinowski auf eine Frage der "Wiener Zeitung". "Die Regierung macht das Richtige, aber nicht schnell genug."
Der Kreml seinerseits hält eine schützende Hand über Schirinowski: Während Putin-Gegner mit Gerichtsverfahren, Schikanen und medialen Diffamierungen überhäuft werden, sind die vielen Skandale, die Schirinowski immer wieder vom Zaun gebrochen hat, stets ohne juristische Folgen geblieben.
Für Russland hat Schirinowski derweil eine ganz eigene Vision. Bis 2021, den nächsten Parlamentswahlen, werde sich Russland in ein Zwei-Parteien-System verwandeln, prophezeite der Politiker zuletzt in der "Moscow Times". "Einiges Russland" auf der einen, und "LDPR" - selbstredend - auf der anderen Seite.