Zum Hauptinhalt springen

Der Russland-Europa-Konflikt

Von Kati Schneeberger

Gastkommentare
Kati Schneeberger ist grüne Bezirksrätin und Europa-Gemeinderätin in Wien-Neubau, Präsidentin des Vereins "Vienna goes Europe" und Lehrerin für Geschichte und Politische Bildung.
© privat

Wladimir Putin und das alte Trauma vom Zerfall des Ostblocks.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nein, es ist nicht die "Ukraine-Krise" oder der "Russland-Ukraine-Konflikt". Es ist weit mehr. Dieser Konflikt betrifft nicht nur ein Land ganz im Osten Europas, er betrifft ganz Europa. Der russische Präsident Wladimir Putin hat kein Problem mit der Ukraine, sondern mit Europa und der pro-europäischen Einstellung der Mehrheit der in der Ukraine lebenden Menschen.

In diesem Konflikt prallen zwei grundverschiedene Vorstellungen aufeinander. Auf der einen Seite Putins Denken aus dem Kalten Krieg inklusive der Existenz von Einflusszonen und auf der anderen Seite ein sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen entwickeltes neues Verständnis von Europa, dem sich nach 1989 auch die östlichen Länder Europas angeschlossen haben. Es ist das Verständnis von einem Europa, in dem sich souveräne Staaten freiwillig in verschiedenen Bereichen zusammentun und zusammenarbeiten auf der Basis gemeinsamer Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

Das ist so gar nicht Putins Ding. Er will die absolute Herrschaft und uneingeschränkte Macht, nicht nur über das heutige Russland, sondern auch über alle ehemaligen Sowjetrepubliken und alle einst im Einflussbereich der UdSSR stehenden Länder - also über halb Europa inklusive halb Deutschland. Diese Vorstellung hat er eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht mit seiner Aussage, der Zerfall der UdSSR sei die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen, auch wenn er versucht hat, sich in für Russland wirtschaftlich schlechten Zeiten als "lupenreiner Demokrat" zu präsentieren. Einige haben ihm diese Show gutgläubig abgenommen und erkennen seine wahren Absichten bis heute nicht.

Putins wahrer Feind ist nicht die Nato, sondern Europa

Putin hängt einem alten Trauma nach, das er als in der DDR stationierter KGB-Agent um 1989 miterleben musste: dem Zusammenbruch des Ostblocks. Dabei übersieht er, dass sich Europa seither grundlegend verändert hat und die ehemaligen Länder des Ostblocks ebenfalls noch ein Trauma mit sich tragen. Das ist nur nicht das Trauma des Zusammenbruchs, sondern das Trauma der Besatzungszeit davor.

Putins wahrer Feind ist nicht die Nato, wie er es gerade versucht darzustellen. Sein wahrer Feind ist Europa mitsamt der Idee von Demokratie, Freiheit und freiwilliger Zusammenarbeit unabhängiger Staaten. Die Nato ist als Feind allerdings viel besser geeignet, da man ihr leichter eigene Verfehlungen vorwerfen kann als Europa. So lassen sich im Propagandakrieg noch Unentschlossene und vor allem die USA- und Nato-Gegner viel leichter auf die eigene Seite ziehen. Würde Putin Europa als Feind direkt angreifen, könnte er es nicht so leicht spalten und schwächen. Mit einem gemeinsamen Feind lassen sich aber einige auf die eigene Seite ziehen, ganz nach dem Motto: Der Feind deines Feindes ist dein Freund.

Die Expansion der Nato erfolgte freiwillig

Das funktioniert besonders gut, wenn man der Nato auch noch das vorwirft, was Russland selber lebt: Expansion. Genauer gesagt: kriegerische Expansion. Nur gibt es genau hier einen Aspekt, den Putin und seine Propaganda natürlich bewusst verschweigt. Die Expansion der Nato hat keine kriegerische Grundlage. Ihr haben sich Länder freiwillig angeschlossen. Und ganz wesentlich: Aus der Nato könnten die Länder auch jederzeit freiwillig wieder austreten. Ganz anders sind Putins Vorstellungen. Er träumt von Einflusszonen und einem erweiterten Machtbereich, aus dem sich die betroffenen Staaten und Gebiete nicht einseitig hinausbewegen könnten.

Die Krim, Teile der Ostukraine oder Georgiens sind nur der Anfang. Putin will mehr. Um sein Trauma zu überwinden, braucht es eine komplette Wiederherstellung der alten Ordnung. Und deshalb ist es keine "Ukraine-Krise" und kein "Russland-Ukraine-Konflikt", sondern ein Problem, von dem ganz Europa betroffen ist und dem es sich gemeinsam stellen muss. Ganz ohne Kampf werden wir unser Europa und seine Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte nicht schützen können. Je entschlossener wir uns Putin entgegenstellen, desto eher können wir einen militärischen Kampf verhindern. Um Frieden in Europa zu haben, müssen wir ihn gemeinsam und entschlossen verteidigen.