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Der Satz, der fehlt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

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Der Wert von Geld kann gar nicht überschätzt werden. Weder in seiner realen Form als Zahlmittel noch in seiner mit Emotionen aufgeladenen symbolischen Bedeutung. Und die Kraft, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen, bringen allenfalls Weltverächter und bedürfnislose Eremiten auf.

Wenn nun Staaten um Geld feilschen, erhält dieses noch einmal einen neuen Stellenwert. Wie, das lässt sich derzeit auf europäischer Ebene beobachten, wo die Repräsentanten von 27 EU-Staaten über die Einnahmen und Ausgaben der Union für die Jahre ab 2021 verhandeln. Eine endgültige Einigung wird zwar wohl erst für das zweite Halbjahr 2019 erwartet, aber schon jetzt geht es für alle darum, ihre Interessen anzumelden und erste Pflöcke einzuschlagen.

Der Satz "Ich zahle gerne meine Steuern und Beiträge", wie er doch immer wieder auch von Gutgestellten zu hören ist, wenn sie die Gewissheit haben, dass damit etwas Sinnvolles getan wird, ist unter Staatenlenkern so gut wie unbekannt. Sie zahlen ja auch nicht selbst, sondern überweisen lediglich einen Teil der Steuern ihrer Bürger an die EU-Institutionen weiter. Trotzdem gibt es die Ich-Form, allerdings nur bei umgekehrten Zahlungsflüssen. Wer erinnerte sich nicht an Margaret Thatchers "I want my money back"? So viel Sinnvolles hätte die damalige EWG wahrscheinlich gar nicht tun können, dass er unterblieben wäre.

Nichts wäre einfacher, als sich über diese Mechanismen lustig
zu machen. Und nichts wäre falscher. Staats- und Regierungschefs verhandeln nicht über ihr eigenes Geld, sondern über jenes ihrer Bürger und Wähler. Diese Vertreterfunktion potenziert noch die ohnehin übliche Rollenverteilung zwischen Zahlern und Empfängern, weil zwischen beiden höchstens eine abstrakte Solidaritätsbeziehung besteht, aber in der Regel keine real existierende menschliche. Bei Transferleistungen innerhalb des Nationalstaats ist das (noch?) anders.

Dieses fehlende Zusammengehörigkeitsgefühl macht das Reden über Geld in der EU so schwierig. Zumal die Zeiten, da diese Verhandlungen unbeachtet von der Öffentlichkeit stattgefunden haben, vorbei sind. Heute muss sich jeder Regierungschef vor "seiner" Öffentlichkeit daheim dafür verantworten, wie viel Geld er "in Brüssel" gelassen oder wie viel Mittel er "von Brüssel" nach Hause bringt.

Das ist die Logik eines Nullsummenspiels. Alle wissen es, aber keiner kann sich dem entziehen. Jedenfalls so lange nicht, bis der erste Staatschef sagt: "Ich zahle gerne EU-Beiträge" - und anschließend nicht wegen dieses einen Satzes die nächsten Wahlen verliert. Natürlich sollte "Brüssel" aber dann schon auch etwas Sinnvolles mit dem Geld anstellen.