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"Der Schaden ist immens"

Von Ferry Batzoglou aus Nikosia

Politik
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Vassilis Korkidis, Chef von Griechenlands Handelsverband ESEE.
© Ferry Batzoglou

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Griechenlands Wirtschaft hat traditionell enge Wirtschaftsbeziehungen mit dem Bruderland Zypern. Der Präsident von Griechenlands Verband der Handelsunternehmen (ESEE), Vassilis Korkidis, 53 (Foto oben), der seit 2009 rund 300.000 Firmen im krisengebeutelten Hellas vertritt, über die Folgen der Zypern-Krise für sein Land.

"Wiener Zeitung": Herr Korkidis, das Euro-Sorgenkind Griechenland versucht gerade, allmählich wieder auf die Beine zu kommen. Nun ist die Zypern-Krise mit voller Wucht ausgebrochen. Griechenlands Wirtschaft ist aber mit Zypern eng verflochten. Welche Auswirkungen hat die Zypern-Krise konkret auf Hellas?Vassilis Korkidis: Die Zypern-Krise hat schon erhebliche Folgen für Griechenland. Sie ist ein Nackenschlag für unsere Exporte, die Schifffahrt und den Tourismus. Zypern ist für Griechenland der viertgrösste Exportmarkt. Die griechischen Ausfuhren nach Zypern beliefen sich zuletzt auf knapp eine Milliarde Euro pro Jahr. Das betrifft konkret Lebensmittel, Industrieprodukte oder Maschinen. Ferner ist unsere Schifffahrt betroffen. Etwa eintausend der 3500 Schiffe der griechischen Handelsflotte fahren unter zypriotischer Flagge. Das bedeutet: Jedes dieser 1000 Schiffe gehört einer Firma, in der Regel einer Off Shore-Gesellschaft, mit Sitz auf Zypern. Für diese führen zypriotische Banken Konten in US-Dollar. Denn die Währung in der Schifffahrt ist der US-Dollar. Die jetzt beschlossene Zwangsabgabe betrifft aber nicht nur Euro-Konten, sondern auch Dollar-Konten. Drittens sind auch die griechische Tourismusbranche von der Zypern-Krise betroffen. Denn der Touristenstrom aus Russland nach Griechenland wird über Firmen auf Zypern abgewickelt. Konkret läuft der Zahlungsverkehr für die Reisen der Russen üblicherweise über Firmenkonten auf Zypern. Ich war kürzlich auf Kreta. Die Hotelbesitzer dort waren sehr beunruhigt über die Lage auf Zypern. Die fälligen Zahlungen an sie sind in den letzten Tagen eingefroren gewesen.

Wie viele griechische Firmen sind auf Zypern aktiv?

Etwa 1.600 Firmen in griechischer Hand haben ihren Sitz auf Zypern. Davon sind 1.500 kleine und mittelständische Unternehmen, der Rest sind Grossfirmen. Zu letzteren zählen IKEA Hellas oder der einheimische Handelsriese Jumbo. Das sind für griechische Verhältnisse sehr bedeutende Unternehmen.

Weshalb haben sie Zypern als Firmensitz gewählt?

Weil Zypern für Griechen ein Steuerparadies ist. Die dortigen Unternehmenssteuern betragen zehn Prozent, während sie sich in Griechenland mit den indirekten Steuern auf 37 Prozent belaufen. Zudem werden die Dividenden aus Unternehmensgewinnen aus Steuergründen in Zypern ausgeschüttet und gehen auf dortigen Konten ein. Die tagelange Bankenschliessung, die Zwangsabgabe und die verhängten Kapitalverkehrskontrollen werden den Firmen stark zusetzen. Schon alleine aus dem Umstand, dass sie ihre weltweiten Einkäufe von Zypern aus tätigen.

Was werden diese Firmen tun?

Sicher werden griechische Firmen Zypern verlassen. Ich bin aber nicht sicher, ob sie nach Griechenland gehen. Das aktuelle Problem ist aber: Das Gros der Firmen unterhält Geschäftsbeziehungen zur Bank of Cyprus und der Laiki Bank.

Also ausgerechnet zu den Geldinstituten, die von den Beschlüssen der Eurogruppe direkt betroffen sind: Für die Bank of Cyprus gilt die Zwangsabgabe für Guthaben über 100.000 Euro. Die Laiki Bank soll in eine "gute" und eine Bad Bank aufgespalten und abgewickelt werden. Wieviel Geld haben die Griechen auf Zypern deponiert?

Etwa sechs Milliarden Euro. Davon entfallen vier Milliarden Euro auf Privatleute und die übrigen zwei Milliarden Euro auf Firmen. Diese zwei Milliarden Euro sind für die griechischen Firmen ein bedeutender Betrag. Denn Griechenland befindet sich im sechsten Jahr der Rezession. Die griechische Wirtschaftsleistung ist in diesem Zeitraum um ein Fünftel zurückgegangen. Da zählt jeder Euro.

Wie hoch wird der Schaden sein?

Der Schaden ist immens. Ich gehe von einem Gesamtschaden von drei Milliarden Euro aus. Das ist eine Tragödie. Aber wissen Sie: Nach so vielen Jahren Griechenland-Krise sind unsere Unternehmen dazu gezwungen, quasi einen Krisen-Ausdauertest zu bestehen. Gäbe es ein Krisen-Zertifikat, wären mittlerweile viele griechische Firmen diesbezüglich zertifiziert.

Haben die Griechen Angst davor, dass jetzt die Zwangsabgabe für Spareinlagen nach dem Tabubruch im Bruderland Zypern auch nach Griechenland, ins Epizentrum der Eurokrise, kommt?  

Ja. Unser Finanzminister Jannis Stournaras hat uns zwar kürzlich versichert, dass es in Griechenland keine Zwangsabgabe für Spareinlagen geben wird. Wir Griechen haben aber seit Beginn der Euro-Krise eines gelernt: Im Falle von Politiker-Dementis kann man getrost davon ausgehen, dass das Gegenteil eintritt. Ich und meine Familie brauchen auf eine Zwangsabgabe jedenfalls nicht zu warten.

Wie kommt das?

Vorab: Ich bin ein sehr konservativer Anleger. Für mich sind Aktienanlagen Zockerei. Meine griechische Bank hat mich im Sommer 2011 vor die Wahl gestellt, eine erworbene Staatsanleihe, in die meine Familie zuvor 700.000 Euro aus unserem ordentlich versteuerten Familienvermögen angelegt hatte, entweder plötzlich um 22 Prozent zu "schneiden". Sie sollte anschliessend in eine bis 2016 laufende, angeblich "absolut sichere" Triple A-Obligation in einem Fonds mit Sitz in Luxemburg, nach englischem Recht begeben sowie bei der unterdessen verstaatlichten Laiki Bank deponiert,  konvertiert werden. So sollten wir im Jahre 2016 wieder die Höhe unseres Anfangskapitals von 700.000 Euro erreichen. Oder wir hätten Im Falle einer damaligen Liquidierung erhebliche Verluste akzeptieren müssen. Ich hatte mit Zypern zuvor nie etwas zu tun. Wir haben uns für die erste "sichere" Option, die Konvertierung, entschlossen. Anfang dieser Woche habe ich meine griechische Bank angerufen, was mit dem Bond passieren werde. Mein Bankberater hat mir gesagt: 'Herr Korkidis, tut uns leid. Der Bond wandert im Zuge der Aufspaltung der Laiki Bank in die Bad Bank.'

Was bedeutet das?

Ich bin nicht naiv. Totalverlust.

Wie fühlen Sie sich jetzt?

Betrogen. Das ist purer Raub.