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Der Schatten der Vergangenheit

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Ein Mord aus IRA-Zeiten bringt Sinn-Fein-Chef Gerry Adams in Bedrängnis.


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Dublin. Den einen war er immer ein bärtiges irisches Scheusal. Den anderen ein republikanischer Held. Er selbst steht nun seit 30 Jahren an der Spitze "der Bewegung". Aufhalten konnte ihn nichts. Er schien unantastbar. Doch neuerdings beginnt ihn seine Geschichte einzuholen. Gerry Adams, Vorkämpfer der irischen Einheit und Sinn-Fein-Präsident seit 1983, hat plötzlich Schwierigkeiten, sich als Leitfigur einer im Umbruch befindlichen Partei zu präsentieren. Zudem machen ihm ein böses Versäumnis und ein finsteres Stück Geschichte seit kurzem zu schaffen. Amnesty International und Irlands Parteien fordern gleichermaßen Aufschluss. Der 65-Jährige sieht sich von allen Seiten bedrängt.

Arg getroffen hat ihn schon eine "private" Geschichte. Im vorigen Monat ist Adams älterer Bruder Liam wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung seiner Tochter Áine verurteilt worden. Áine war zur Zeit der ersten Übergriffe, in den siebziger Jahren, vier Jahre alt. Und Gerry Adams wusste definitiv bereits zur Millenniumswende von dem Familien-Geheimnis. Aber er schwieg nach dem Geständnis, das ihm sein Bruder im Jahr 2000 bei einem Spaziergang gemacht hatte, noch neun Jahre lang. Erst als die Sache im Fernsehen hochkam, überwand sich auch der berühmte Onkel, eine Aussage zu machen. Nun wird ihm sein beharrliches Schweigen weithin übel genommen. Er habe, heißt es, moralisch versagt.

Mit dem IRA-Barret

Auch eine böse alte Geschichte anderer Art macht Adams zu schaffen. Sie hat mit seiner Zeit bei der IRA zu tun. Schon früher haben ja seine Landsleute darüber gelacht, dass er immer darauf bestand, nicht Mitglied der IRA gewesen zu sein. Immerhin kennt man Bilder, die ihn als jungen Mann unter dem IRA-Barret einer paramilitärischen Ehrengarde bei einem Begräbnis zeigen. Und 1972 war er einer der Repräsentanten der IRA bei Geheimgesprächen mit der britischen Regierung. Weder diese Rolle noch den späteren Vorsitz bei Sinn Fein hätte er übernehmen können ohne das Gewicht, das ihm eine führende IRA-Position verleihen musste. Darin sind sich alle Kenner der nordirischen Szene einig. Die meisten gehen davon aus, dass Adams lange Zeit Befehlshaber der IRA in Belfast war.

Dennoch hielt er immer an der Fiktion fest, dass er nur dem politischen, nicht aber dem militärischen Verband der Republikaner angehört habe. Das ließ man ihm durchgehen, als er zusammen mit Martin McGuinness in den neunziger Jahren seinen Schwenk zum Frieden vollzog und gegen den Willen der Unverbesserlichen in der IRA Waffenstillstand, politische Zusammenarbeit mit den Unionisten und Vernichtung der alten Arsenale erzwang.

Mittlerweile aber mehren sich die Stimmen, die Adams vorwerfen, mit seinem Leugnen die nötige Aufarbeitung der Vergangenheit zu behindern. Die "Irish Times", die führende irische Zeitung, hat ihm kürzlich in einem Leitartikel vorgehalten, seine Ausflüchte seien "nicht länger annehmbar". Irlands Premier Enda Kenny forderte ihn im Parlament auf, seine Karten auf den Tisch zu legen. Und Amnesty International will im Zusammenhang mit anderem verdrängten Unrecht nun auch den Jean-McConville-Fall neu aufgerollt sehen.

Was Amnesty damit meint, weiß man in ganz Irland. Jean McConville, eine Mutter von zehn Kindern, war eine der "Verschwundenen" der Troubles. Die protestantische Witwe eines Katholiken wurde 1972 aus dem Haus geschleppt, verhört, gefoltert und getötet, weil die IRA (irrtümlich) eine Armee-Informantin in ihr sah. Ihre Leiche wurde an einem Strand verscharrt und erst vor zehn Jahren zufällig entdeckt.

In Erinnerung gerufen hat McConvilles Geschichte ein beeindruckender neuer irisch-britischer Film zu den "Verschwundenen". Die Dokumentation zeichnet das Schicksal nordirischer Katholiken nach, die die IRA als mutmaßliche Spione im eigenen Lager oder einfach auch nur als unliebsame Zeitgenossen beseitigte. Vor allem aber weist der Film, direkter als je zuvor, den Finger auf Gerry Adams. Jean McConvilles Hinrichtung soll Adams persönlich angeordnet haben. Die IRA-Aktivistin Dolors Price, die seinerzeit den Wagen mit der zum Tod verurteilten McConville in die Republik Irland steuerte, hat zu Protokoll gegeben, von Adams den Befehl erhalten zu haben. Ein Belfaster Ex-IRA-Kommandant, Brendan "Darkie" Hughes, hat außerdem auf einer Tonbandaufnahme seinen früheren Freund Adams bezichtigt, die Exekution befohlen zu haben.

Hughes und Price leben heute nicht mehr. Ihre für die Nachwelt bestimmten Aussagen sind erst in den letzten Monaten ans Licht gekommen. Adams hält sie für "Lügen" und beteuert, mit keiner Gräueltat etwas zu tun zu haben. Vor allem, erklärt er, hätten Hughes und Price seit dem Friedensvertrag "auf der anderen Seite" gestanden. Sie hätten also allen Grund gehabt, ihn anzuschwärzen, will Adams damit sagen. Seine Kritiker gehen freilich davon aus, dass Hughes und Price aus Protest gegen Adams Politik ihr Schweige-Gelübde brachen und die Wahrheit sagten.

Jung und ohne IRA-Bezug

Dass er den Schatten der blutigen Vergangenheit nicht abschütteln konnte, rächt sich für Adams nun. Denn die Sinn Fein, deren Popularitätswerte beständig steigen, versucht sich heute zu einer modernen Protestpartei gegen die Austeritäts-Politik zu formieren, zu einem Sammelbecken für Irlands Benachteiligte.

Für diese Partei ist die Forderung nach irischer Einheit eher ein Fernziel. Gewiss will man die Wiedervereinigung. Aber anderes drängt wesentlich mehr. Nach und nach werden die alten Kämpen daher obsolet in der "Bewegung". Jüngere Sinn Feiner ohne IRA-Vergangenheit, dafür mit Kenntnissen über Finanzwirtschaft und Ökonomie sind gefragt. Pearse Doherty, ein 36-jähriger Ingenieur, wird schon als Nachfolger für Adams gehandelt. Die 44-jährige Mary Lou McDonald, Adams Stellvertreterin, weiß blendend zu kommunizieren und genießt ebenfalls Ansehen. Keiner von beiden wird mit der IRA assoziiert.

Gerry Adams selbst würde zweifellos gern noch bis mindestens 2016 die Zügel in der Hand behalten. Diesem Jahr, mit seinen Jahrhundertfeiern für den Osteraufstand von 1916, fiebern die Republikaner schon jetzt entgegen. Und Loyalität im eigenen Lager dürfte dem Sinn-Fein-Präsidenten helfen, seine dominierende Rolle noch eine Weile zu spielen. Bisher wagten auch weder London noch Dublin, eine Hand an den nordirischen Pakt-Partner zu legen. Aber so sicher wie früher kann Gerry Adams sich nicht mehr sein, dass er unentbehrlich ist. Wahrscheinlich wäre er inzwischen schon ganz froh darüber, wenn der Generalamnestie-Vorschlag der nordirischen Staatsanwaltschaft Wirklichkeit würde - und ihn niemand mehr vor ein Gericht zerren könnte.