Zum Hauptinhalt springen

Der Schatten Hitlers verblasst nicht

Von Michael Schmölzer

Politik

Ganz Europa blickt dieser Tage mit Besorgnis nach Deutschland, wo eine Serie rechtsextrem motivierter Gewalt Politiker aller Lager in Atem hält. Aber nicht nur Deutschland sieht sich verstärkt mit neonazistischen Übergriffen konfrontiert, andere Länder haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Ich hielt Ausschau nach den eingeschüchterten weißen Jungs, die eine Gruppe suchten, zu der sie gehören konnten", erzählt T.J. Leyden, ehemaliger Soldat der US-Marine und nun Mitarbeiter des Simon Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles. Fünfzehn Jahre seines Lebens war er allerdings im Auftrag von Rassisten unterwegs, Ziel war die Rekrutierung von neuen Mitgliedern.

Heute will Leyden die Soldaten vor seinen früheren Gleichgesinnten warnen: "Das US-Militär ist die am besten ausgebildete Truppe der Welt. Deshalb schicken die rassistischen Gruppen ihre Leute hierher-um sie schulen zu lassen. Wenn sie glauben, dass dies nicht so ist, müssen sie aufwachen", erklärt er seiner soldatischen Zuhörerschaft. Die Befehlshaber hätten dabei meist nachsichtig reagiert.Mittlerweile gehen die US-Streitkräfte rigoros gegen Rassismus in ihren Reihen vor. Vor vier Jahren ernannte der Verteidigungsminister nach dem Tod zweier Schwarzer eine Sondereinsatzgruppe gegen Extremismus. Drei weiße Soldaten wurden angeklagt, weitere neunzehn aus der Armee entlassen.

Ausländerhass in Frankreich

Auch in Frankreich, dem klassischen Land der Menschenrechte, gehört fremdenfeindliches Verhalten zur täglichen Realität. Das beweist schon eine jüngst von von der Regierung eingerichtete Notrufnummer, bei der täglich etwa 2.000 Anrufe eingehen. Die Anrufer, zumeist Einwanderer arabischer oder schwarzafrikanischer Herkunft, beklagen sich zumeist über Diskriminierungen am Arbeitsplatz, bei der Job- und Wohnungssuche.

Dabei sind Rassismus und Antisemitismus seit Beginn des Wirtschaftsaufschwunges vor drei Jahren, als der Sozialist Lionel Jospin die Führung einer linken Koalitionsregierung übernahm, in Frankreich stark in die Defensive gedrängt. Das langjährige Argument von Jean-Marie Le Pen, dem Gründer und Chef der rechtsextremen "Front National", wonach Ausländer den "wahren Franzosen" die Arbeitsplätze wegnehmen würden, bewegt die Massen schon längst nicht mehr. Le Pen ist von soliden fünfzehn Prozent der Wählerstimmen bei den Präsidentenwahlen von 1995 auf knapp sechs Prozent bei der Wahl zum Europaparlament im Juni 1999 abgesackt. Die unterschiedlichen französischen Regierungen der Linken wie der Rechten haben sich-teilweise aus wahltaktischen Gründen- nie zu einem Verbot rechtsextremer Parteien durchringen können. Allerdings hat sich eine solide "Republikanische Front" im ganzen Land gegen die extreme Rechte bilden können. Zahlreiche Organisationen wie "SOS Racisme" oder die Anti-Rassismus-Liga LICRA organisieren bei jedem Auftritt Le Pens systematisch Gegenkundgebungen.

Rassismus im Osten

In den Ländern des ehemaligen Ostblocks haben sich nach dem Zusammenbruch des alles dominierenden Kommunismus nicht zu unterschätzende rechtsextreme Kräfte entwickeln können. So auch bei unserem östlichen Nachbar Slowakei: Hier speist sich die rechtsextreme Szene gleich aus mehreren Quellen. Zu den wichtigsten Kräften gehört das Erbe der autoritären und faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit. Ebenso stark ist das Frustrationspotential unter jenen sozialen Gruppen, die sich als Verlierer der Transformation von 1989 betrachten. Diesen Unmut nutzt vor allem die Slowakische Nationalpartei (SNS), die ungefähr zehn Prozent des Wählerpotentials an sich binden kann. Zu den Feindbildern dieser Bewegung zählen ethnische Minderheiten wie die Roma, Juden oder Ungarn. Eine weitere Ebene des Rechtsextremismus in der Slowakei bildet die in ganz Europa verbreitete Jugendbewegung der Skinheads. Viele dieser ultrarechten Kids beziehen ihre Ideen aus Deutschland oder der USA, mittlerweile ist auch hier das Internet wichtigstes Kommunikationsmedium.

Auch in Tschechien, ehemals mit der Slowakei in einem gemeinsamen Staat verbunden, ist die Gefahr eines sich ausweitenden Rechtsextremismus noch keineswegs gebannt. Am stärksten verbreitet sind hier Vorurteile gegen die Roma-Minderheit. Sie stellen rund 250.000 der über zehn Millionen Einwohner Tschechiens und sind mit mehr oder weniger offenem Rassismus konfrontiert, der von verbalen Ausfällen bis zu offener Diskriminierung am Arbeitsmarkt reicht. Weltweit bekannt wurde das Problem letztes Jahr, als in der nordböhmischen Stadt Ustinad Labem eine Mauer Roma-Siedlungen von der Nachbarschaft trennen sollte. Außer gegen Roma richten sich die Attacken der tschechischen Rechtsextremisten zunehmend auch gegen andere Nationalitäten, wie etwa Vietnamesen, die häufig den Kleinhandel auf städtischen Märkten beherrschen, und Ukrainer, die nach Angaben der Polizei die grösste Gruppe an Schwarzarbeitern im Land stellen.

In Ungarn kam es nach dem Ende des Kommunismus zu einem plötzlichen und weitgehend unerwarteten Erwachen extrem nationalistischer und rassistischer Strömungen. Unter den rechtsextremen Gruppierungen erwies sich die Ungarische "Wahrheits-und Lebenspartei" von Istvan Csurka als stärkste politische Kraft. Der Schriftsteller Csurka war ursprünglich einer der Gründungsmitglieder des konservativen "Demokratischen Forums", das bei den freien Wahlen 1990 zur stärksten politischen Kraft im ungarischen Parlament wurde. 1993 gründete Csurka seine eigene Partei und verfehlte den Parlamentseinzug, doch 1998 konnte er immerhin 14 Sitze im Budapester Parlament gewinnen. Csurka war unter dem Kommunismus ein geachteter Dissident gewesen, in den Jahren nach 1989 radikalisierte er sich immer mehr und vertritt mittlerweile antisemitische und rassistische Positionen. Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse musste die Mitte-Rechtsregierung von Ministerpräsident Viktor Orban in den letzten zwei Jahren wiederholt auf die politische Schützenhilfe Csurkas zurückgreifen. Orban versuchte in diesem Zusammenhang allerdings, eine rechtsextreme Gefahr für das Land herunterzuspielen.

Neonazis in Göteborg

Aber auch der in sozialpolitischer Hinsicht als vorbildlich geltende Norden Europas hat ein massives Problem mit rechtsradikaler Gewalt. Zu Beginn der neunziger Jahre erregte die Zunahme von Gewaltakten gegen Ausländer internationales Aufsehen und ließ den ruf nach einem Verbot neonazistischer und rassistischer Parteien laut werden. Alljährlich stattfindende Demonstrationen von Neonazis in Göteborg sind die offenste Manifestation dafür, dass die Gefahr von Rechts noch lange nicht gebannt ist.