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Der Schlächter aus London

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Drohnenangriff der Amerikaner tötete mit hoher Wahrscheinlichkeit "Dschihadi John" in Raqqa.


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Kairo. Er ist zum Symbol der ausländischen Kämpfer des Islamischen Staates geworden. Stets vermummt und mit einem scharfen Messer in der Hand, posierte der mit Londoner Akzent sprechende junge Mann auf Videos, in denen Geiseln enthauptet wurden.

Zum ersten Mal im August 2014, als er den US-Journalisten James Foley vor laufender Kamera ermordete. Danach folgten weitere Enthauptungsvideos mit derselben Stimme und in gleicher Pose. Als "Dschihadi John" bezeichneten westlichen Medien daraufhin den aus Kuwait stammenden Briten. Dagegen nennen IS-interne Kreise die Kämpfer aus Großbritannien "Beatles".

Mohammed Emwasi, so sein tatsächlicher Name, galt als der Brutalste von allen. Ehemalige Gefangene des IS berichteten, dass er nicht nur ein grausamer Schlächter war, sondern auch Foltermethoden wie das "Waterboarding" an IS-Geiseln angewandt habe. Jetzt soll er selbst durch einen Drohnenangriff der Amerikaner in der IS-Hochburg Rakka ums Leben gekommen sein. Der britische Sender BBC ist sich darin sicher und spricht von zuverlässigen Militärquellen. Auch die USA gehen davon aus, dass sie "ihn erwischt" haben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigt den Tod "eines hochrangigen britischen IS-Anführers" ohne Namen zu nennen. Einzig der britische Premierminister David Cameron zögert noch und sagt, es sei "noch nicht hundert Prozent sicher, dass der Angriff erfolgreich war".

Erst im Februar dieses Jahres konnte die BBC Teile der Biografie von Dschihadi John enthüllen. Zuvor blieb seine Identität im Dunkeln. Demnach wurde Emwasi vor 25 Jahren in Kuwait geboren, wuchs aber in Großbritannien auf. Der Mann sei seit längerem auf dem Radar britischer Geheimdienste, hieß es. Aus ermittlungstaktischen Gründen sei seine Identität jedoch nicht bekanntgemacht worden. Scotland Yard und amerikanische Behörden bestätigten die Berichte zunächst nicht. Ein früherer Freund des Mannes sagte der "Washington Post", er habe keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem IS-Mörder um Emwasi handele. "Er war wie ein Bruder für mich. Ich bin mir sicher, dass er es ist."

Uni-Abschluss in EDV

Andere Freunde, die ebenfalls ungenannt bleiben wollten, beschrieben den Bartträger in der Zeitung als höflich und modebewusst. Emwasi lebte in einer bürgerlichen Gegend im Westen Londons. Gelegentlich habe er in einer Moschee in Greenwich gebetet und einen Abschluss in Computerprogrammierung an der Universität von Westminister gemacht. Weitere Zeugen gaben an, dass Emwasi sich nach einem geplanten Safari-Trip nach Tansania im Mai 2009 radikalisierte. Er sei am Flughafen von Daressalam von der Polizei aufgegriffen und eine Nacht festgehalten worden. Anschließend wurde er abgeschoben.

Der Grund dafür ist bis heute nicht bekannt. Doch die Abschiebung hatte Folgen. Als er nach Amsterdam flog, sei Emwasi erstmals mit dem britischen Geheimdienst MI5 in Kontakt gekommen, als er angeblich nach Somalia weiterreisen wollte. Ein Mitarbeiter einer britischen Menschenrechtsorganisation will letztmals im Jänner 2012 eine Mail von ihm erhalten haben, als Emwasi seinen Lebensmittelpunkt nach Kuwait verlagert hatte. Laut "Washington Post" gelangte der Verdächtige von dort nach Syrien und schloss sich den Islamisten an. Zu jener Zeit bildeten die Rebellen noch nahezu eine Einheitsfront gegen das diktatorische Regime von Bashar al-Assad. Die Mitglieder des IS kämpften gemeinsam mit Dschihadistengruppen wie Al Nusra, Ansar al-Islam oder der Freien Syrischen Armee gegen die Herren in Damaskus.

"2012 öffnete sich ein Fenster der Möglichkeiten", sagt Jan Eliasson rückblickend. "Es war die beste Zeit für eine Lösung der Syrienkrise." Als der ehemalige schwedische Außenminister stellvertretender UN-Generalsekretär wurde, hatte Kofi Annan als UN-Sondergesandter für Syrien eine Übergangsregierung verhandelt, an der alle Kräfte, einschließlich der Regierung Assad beteiligt werden sollten.

Mit diesem Interimskabinett sollte ein konstitutioneller Prozess angestoßen werden. "Doch der Sicherheitsrat nahm diese Chance nicht wahr", beklagt Eliasson. Kofi Annan war enttäsucht und trat zurück. Seitdem radikalisierte sich die Szene drastisch. Kämpfer des IS lösten sich aus der Rebellenfront heraus und fingen an, ihren Scharia-Kolonialismus zu betreiben. Im Sommer 2014 riefen sie das Kalifat aus.