Eine Quallenart trägt den Schlüssel zur Unsterblichkeit in sich. | Der Mensch sucht nach Möglichkeiten, wie er ewig leben kann - im Diesseits und im Jenseits. | Wenn wir wirklich alle einmal Erde werden, dann will ich gern Blumenerde werden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Xaver, 6 Jahre alt
Das Bedürfnis, sich ein Bild vom Leben nach dem Tod zu
machen, ist seit Jahrtausenden ein zutiefst menschliches. "Denn niemand weiß, was der Tod ist, nicht einmal, ob er nicht für den Menschen das Größte ist unter
allen Gütern. Sie fürchten ihn aber, als wüssten sie gewiss, dass er das größte Übel ist", beschreibt Sokrates den Zustand in seiner Verteidigungsrede.
Die Anhaftung am Leben bedingt die Angst vor dessen Auflösung, die Angst vor Trennung. "Unsere Urerfahrung ist das Wachsen im Mutterleib, im Leben suchen wir die Verbundenheit. Dass das aufhören soll, ist gegen unseren Trieb", sagt die Wiener Psychotherapeutin Siegrid Sommer: "Die Idee, dass es nach dem Tod irgendwie weitergehen könnte, kommt dem Bedürfnis nach Sicherheit entgegen, daher ist Unsterblichkeit ein Meta-Gedanke."
Ein Meta-Gedanke sowohl für das Jenseits als auch bereits im Diesseits. Denn das einzige Tier, das bisher den Jungbrunnen entdeckt hat, ist eine vier bis fünf Zentimeter große Qualle. Turritopsis nutricula ist durch Besonderheiten in ihrem Lebenszyklus potenziell biologisch unsterblich. Die Art kann sich nach erfolgter Vermehrung zum Kind-Status zurückentwickeln, dann wieder heranwachsen und theoretisch den Prozess beliebig oft wiederholen. Dass die den Tod umgehende, aus der Karibik stammende Spezies schon allein aufgrund dessen die Weltmeere erobert, ist für Meeresforscher eine Artenplage. Doch die Altersforscher studieren, wie sie das Quallen-Prinzip für den Menschen nützen können.
Das Zeit-Rad zurückdrehen
Grundsätzlich könnte der Mensch 1000 Jahre lang leben, sagt der britische Bioinformatiker Aubrey de Grey. Er führt das Altern auf ungünstige biochemische Prozesse zurück, die durch gezieltes
Beeinflussen gestoppt oder umgekehrt werden können. Durch das Altern verursachte Schäden können beseitigt werden, indem ein möglichst schädigungsfreier Stoffwechsel etabliert würde. Allerdings würde ein gewinnbringendes Eingreifen in vorhandene Stoffwechselprozesse des Körpers ein sehr tiefes Wissen voraussetzten, über das man heute noch nicht verfügt (siehe rechts unten) . Wissenschafter, Ärzte und
Genetiker sind jedoch zunehmend überzeugt, dass es theoretisch keinen Grund gibt, warum man den Alterungsprozess nicht verlangsamen oder sogar stoppen könnte. "Ich arbeite an der Unsterblichkeit", jubelte kürzlich Michael Rose, Evolutionsbiologe an der University of California in Irvine, weil er Durchbrüche bei der
Verlängerung des Lebens von Fruchtfliegen erzielte. Wenn wir den Tod hinauszögern, müssen wir ihm erst später begegnen. Und wenn wir ewig leben, sein Angesicht gar nicht sehen.
Ewigkeit ohne Gewicht
"Wir leben länger und werden
somit älter - wollen aber dabei jung bleiben. Und diese Jugend ist endlich. Indem wir das
Absterben unserer Zellen beeinflussen, schaffen wir also eine Endlichkeit in der Endlichkeit", sagt Peter Kampits, Professor Emeritus am Institut für Philosophie der Universität Wien. Dabei würde uns sogar noch die Zeit zu kurz, weil wir den Tag mit immer mehr Aktivitäten vollstopfen. Am Ende des Lebens täte sich erst wieder die Frage auf, wer unser Leben künstlich verlängert. An Maschinen gekettet, sind wir unserer Freiheit beraubt.
Nach Martin Heideggers
Freiheit zum Tod macht uns des Todes Unausweichlichkeit frei zu unseren Entscheidungen im
Leben. "Wenn ich nicht wüsste, dass ich sterben muss, hätten meine Handlungen kein Gewicht. Ich könnte Entscheidungen, die ich bereue, in immer neuen Situationen revidieren, der Moment hätte keine Bedeutung mehr. Ein ewiges Leben wäre ein Alptraum", findet Kampits. Da uns niemand abnehmen kann, zu sterben, ist dieser letzte Akt des Lebens die ultimative Verantwortung.
Solange wir da sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr, sagte Epikur. So ist es denn nicht der Tod, der unsere Sehnsucht nach Unsterblichkeit treibt, sondern die Furcht vor dem Prozess des Sterbens. Der Tod ist ein Abschied von
Beziehungen, wie wir sie kennen, und wir sehnen uns danach, nicht Abschied nehmen zu müssen. "Einen Menschen zu lieben ist ihm zu sagen, Du wirst nicht sterben", schrieb der Philosoph Gabriel Marcel. Wenn ich den Geliebten nur im Gedächtnis bewahre, auf welche Weise auch immer, dann bleibt er, so der Transformationsgedanke. Etwa beschreibt Lotte Ingrisch ihren geliebten
verstorbenen Mann Gottfried von Einem als immer bei ihr, wenn auch in anderer Art und Weise.
Ulrich Körtner, Professor für systematische Theologie der
Universität Wien, verweist auf den ersten Korintherbrief - "der Tod ist der Sünde Sold" -, um zu erklären: Eine Interpretation der Aussage Paulus’ liege in der Beziehungslosigkeit, die der Tod mit sich bringt. Sünde ist Verhältnislosigkeit, und der Tod ist die Vollendung dieser Verhältnislosigkeit. Dem gegenüber steht die Auferstehung als Hoffnung, dass mit dem Tod die Beziehung Gottes zum Menschen aufrecht erhalten bleibt, obwohl der Mensch körperlich dazu nicht mehr in der Lage ist. Somit sei der Tod eine Aufarbeitung in Gott selbst - ein in Gott Hineinsterben.
Ist Gott ein gerechter Gott, wenn selbst die Gerechten sterben? "Die Hoffnung auf Auferstehung ist in erster Linie nicht eine Hoffnung für mich selbst, sondern eine Hoffnung für die anderen,
indem wir mit diesem Glauben auch Solidarität mit den Opfern üben", sagt Körtner. Da es eine Form von Schuld gebe, die kein Mensch bewältigen könne, müsse es Hoffnung für zu Unrecht zu
Tode Kommende über ihren Tod hinaus geben. Dadurch bleibt die Botschaft der Liebe wahr. "Die Auferstehung ist eine Entlastung davon, dass das Leben die letzte Gelegenheit ist zum Heil Gottes. Die Fragmenthaftigkeit des Lebens geht in Gott auf",
erklärt der Theologe.
Als Konflikt bleibt hier die
Polarität zwischen Leben und Tod. Ihn aufzulösen suchen Theorien, bei denen Unsterblichkeit ins Leben rückt. So entspricht im schamanischen Weltbild die Unterwelt nicht der "Hölle", sondern ist laut Felicitas Goodman die Heimat der Tiere, das Reich der verstorbenen
Seelen. Die Mittelwelt ist das
geistige Gegenstück zur gelebten Realität, eine "parallele" Welt. In ihr liegt der Geist, die Essenz aller Dinge, "sie ist die wirkliche Welt hinter der sichtbaren Welt". Die Oberwelt hingegen berge Himmel, Sterne, kosmische Grundmuster und den Entwurf für alles, was ist und was sein wird.
Seelenreisen und Mittler
Schamanische Seelenreisen führen in eine dieser drei Welten. Ziel ist, Rat und Erkenntnis für das Wohl des Einzelnen und damit der Gemeinschaft zu holen und in die alltägliche Wirklichkeit einzubringen. Der Schamane ist ein Mittler zwischen den Welten. "Von Initiation kann man sprechen, wenn wir die Möglichkeit wahrnehmen, das Tor zur inneren Welt, die Pforten der Wahrnehmung aufzuschließen", so Goodman. Der Quantenphysiker David Bohm verweist auf ein "grenzenloses Ganzes", und Physik-Nobelpreisträger Max Planck betonte: "Alles ist mit allem verbunden."
"Wäre unser Zugang zu den Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles so, wie es ist: Unendlich", schrieb der Dichter William Blake. Die Zeit seit der Entstehung erster Bakterien scheint uns zwar derart unendlich, dass wir sie uns nicht vorstellen können - aber wir haben zumindest ein Konzept davon. Denn selbst wenn der Einzelne stirbt, entsteht sofort wieder Leben.