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Der Schnitt ins Leben

Von Ina Weber

Frauentag
© Ulrike wieser

Vom Notfallplan zur Routinemaßnahme: Die Kaiserschnittrate liegt in Wien bei rund 30 Prozent.


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Wien. Der Kaiserschnitt - Cesare Sectio - früher Notfallplan, heute Routine. In Wien liegt die Kaiserschnittrate derzeit bei rund 30 Prozent. Damit liegt Wien über dem EU-Durchschnitt, der 25 Prozent beträgt. Seit Jahren heißt es, dass der Trend zum Kaiserschnitt geht, seit Jahren weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) darauf hin, dass die hohe Rate gesenkt gehört. Die WHO empfiehlt dabei eine Rate von 10 bis 15 Prozent. Lediglich bis zu 15 Prozent sei ein Kaiserschnitt medizinisch zu empfehlen. Die Zahl medizinisch nicht notwendiger Kaiserschnitte steige aber weltweit.

Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) will den Anteil der Kaiserschnittgeburten bis 2025 auf 25 Prozent senken. Denn der Kaiserschnitt könne "Langzeitfolgen für Mutter und Kind haben", sagte die Stadträtin bereits im Jahr 2014. Es liege nicht am Alter, der Zusatzversicherung oder am Bildungsstandard, sagte Wehsely, "die Frauen entscheiden sich vor allem für den Eingriff, weil sie sich vor der natürlichen Geburt fürchten. Sie glauben, diese nicht durchzustehen, oder es sind Mütter, die bereits einen Kaiserschnitt hinter sich haben."

Einmal Kaiserschnitt, nicht immer Kaiserschnitt

Bei beiden Gründen will die Stadtpolitik ansetzen: Frauen soll Mut für eine natürliche Geburt gemacht werden und sie sollen sich unter Berücksichtigung aller Risiken nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt möglichst für eine vaginale Geburt und nicht für einen erneuten Kaiserschnitt entscheiden. So sieht das auch die WHO.

Medizinisch notwendiger Kaiserschnitt, Spontan-Kaiserschnitt, empfohlener Kaiserschnitt, Wunsch-Kaiserschnitt: Mittlerweile gibt es alle Facetten. Auch wenn es nur wenige ausgesprochene Wunsch-Kaiserschnitte in Wien gibt, so sind dem Vernehmen nach rund die Hälfte der Kaiserschnitte medizinisch gesehen nicht notwendig. Warum es dennoch relativ viele Kaiserschnitte in Wien gibt, hat mehrere Gründe. Da wären zum einen die oft genannten Vor- und Nachteile rund um die Geburt. Als Vorteile des (Wunsch-)Kaiserschnitts werden das planbare Ereignis - sowohl für die Eltern als auch für den Arzt - und das Ausschalten möglicher Risiken bei einer natürlichen Geburt - Beckenendlage, zu großer Kopf des Kindes - genannt. Als Nachteile stehen mögliche Langzeitfolgen, wie erhöhtes Allergie- und Asthmarisiko im Raum und verstärkte Atem- bzw. Verdauungsprobleme des Babys gleich nach der Geburt.

Doch unabhängig von den möglichen Risiken sowohl beim Kaiserschnitt als auch bei einer natürlichen Geburt, ist für eine Entscheidung oft die Umgebung ausschlaggebend. In welchem Spital bin ich, welcher Arzt mit welcher Einstellung betreut mich und wie machen es die Bekannten. Zählt der Kaiserschnitt zur Rettung des Kindes, der Mutter oder gar des Spitals? Ein Kaiserschnitt kostet doppelt so viel wie eine natürliche Geburt. Man hört, dass sich so manche Geburtsabteilung nur erhalten kann, wenn die Kaiserschnittrate bei 30 Prozent liegt. In England etwa setze man wieder auf die Hausgeburt - ob aus Kostengründen oder aus Überzeugung, Tatsache ist, es kommt dem Land billiger. Andersherum wird oft ein Wunsch-Kaiserschnitt mit vorgeschobenen medizinischen Gründen gerechtfertigt. Sollte das die Krankenkasse übernehmen? Sollte sich die werdende Mutter einen Wunschkaiserschnitt selbst bezahlen müssen?

"Wenn eine Frau zu mir kommt und einen Kaiserschnitt, auch nach entsprechender Beratung wünscht, dann ist dies zu akzeptieren", sagt Georg Braune, Gynäkologe in Wien. Braune war lange Zeit an der Semmelweisklinik tätig und hat die dortige Politik, die Kaiserschnittrate möglichst auf Null zu reduzieren, mitgetragen. Heute sieht der Arzt dies anders. "Zu sagen, ich vermeide um jeden Preis einen Kaiserschnitt, ist nicht richtig", sagt er. Wer treffe diese Entscheidung und wer trage die Verantwortung dafür? "Es ist leicht, Statements abzugeben, wenn man die Folgen nicht verantworten muss."

Es sei nicht sinnvoll, einfach eine Reduktion der Kaiserschnitte zu fordern, vielmehr sieht Braune ein gesellschaftliches Problem. "Ein Kaiserschnitt ist eine Operation und eine Operation würde ich mir niemals wünschen", sagt er. Warum es zu Kaiserschnitten kommt, habe viele Gründe und müsste in den Spitälern genauer untersucht werden. Das sei jedoch nicht der Fall. "Man hat sich nie wirklich damit auseinandergesetzt", sagt Braune. Vielmehr gebe es von Spital zu Spital große Unterschiede.

Geburtshilfliche Methoden werden oft nicht mehr gelehrt

Heute ersetzt der Kaiserschnitt auch oft geburtshilfliche Methoden wie, spontane Geburt bei Beckenendlagen, Zangengeburt oder Saugglocke - oft werden diese Methoden gar nicht mehr gelehrt. In besonderen Fällen wären diese aber anzuwenden. "Die jungen Kollegen ziehen dann den Kaiserschnitt vor", so Braune. Dabei müsste etwa nur der Kopf gedreht werden. Dazu komme, dass Erstgebärende immer älter werden und daher die geburtshilflichen Komplikationen steigen, etwa durch das älter werden der mütterlichen Gefäße.

Rund 400 Geburten mit Beckenendlage hat Braune in seinem Leben schon gemacht. Heute würde er das nicht mehr tun. Das Risiko ist ihm zu hoch. Wenn etwas schieflaufe, dann würde man geklagt und es gebe viele Klagen auf Schadenersatz nach einer Geburt. Einmal Kaiserschnitt heiße nicht, dass zwingend noch einer folgen müsse. Allerdings gilt es zu schauen, warum die Frau beim ersten Mal einen Kaiserschnitt hatte. "War z.B die mütterliche Indikation enges Becken, würde ich wieder eine Sectio empfehlen, war eine kindliche Indikation der Grund - etwa Abfall der kindlichen Herztöne -, dann kann man die zweite Geburt spontan versuchen", so Braune. Allerdings müsse man die Mutter genau über das Risiko einer Ruptur der Kaiserschnittnarbe an der Gebärmutter unter Wehen aufklären, "was zu einer hochdramatischen Situation führen kann". Zusammenfassend sagt der Arzt: "Wir haben mit Kaiserschnittkindern nicht mehr Probleme als mit normalen Geburten."

Die Stadt versucht nun werdende Mütter näher zu Hebammen zu bekommen. So wurde im Jahr 2014 im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen ein Treffen mit einer Hebamme eingeführt. Die Kosten übernimmt die Gebietskrankenkasse. Für viele Hebammen ist die heutige Entwicklung unverständlich. "Es gibt auch Leute die fragen: ,Was, die gibt’s noch?‘, die gedacht haben, dass es uns nicht mehr gibt", sagt Hebamme Yasmin Fotouri. Es ist zwar gesetzlich geregelt, dass eine Hebamme bei einer Geburt dabei sein muss, doch in den meisten Fällen würden sich die Frauen zuerst an einen Arzt wenden. "Die erste Assoziation zu Schwangerschaft ist Arzt", sagt Lisa Rakos, Studiengangsleiterin am Hebammen-Studiengang an der FH Krems. "Aber in dem Moment, wo klar wäre, dass man sich zuerst an die Hebamme wendet und erst, wenn etwas verdächtig ist, an den Arzt, dann würde sich das ganze System komplett umorientieren", so Rakos.

Die sogenannten Wunschkaiserschnitte sind für die Hebammen "Angstkaiserschnitte". "Es gibt generell ein erhöhtes Sicherheitsdenken bei allen Menschen. Alle haben Angst, nicht nur die Ärzte auch die Frauen. Das überträgt sich gegenseitig", so Hebamme Fotouri. Rakos: "Wenn ich die Frauen über alles, was es gibt, informiere, dann kann sie selbst wählen." Allein das Wort Kaiserschnitt klinge edel, Hausgeburt dagegen wenig. "Was wäre, wenn wir Prinzessinnenschlossgeburt und Horrorschnitt sagen würden? Ich glaube, dass ganz viele nicht wissen, was ein Kaiserschnitt ist. Das Wort Operation kommt nicht vor. Unsere Sprache ist da natürlich sehr programmierend."

Wenn ein Arzt eine Entscheidung treffen muss, für die er im Nachhinein geklagt werden kann, wird er sich wohl für den sichersten Weg entscheiden. Denn kommt es bei natürlichen Geburten zu einem Zwischenfall heißt es in den Gutachten: "durch einen Kaiserschnitt hätte diese Komplikation vermieden werden können". Andersherum hat man noch nie einen Kaiserschnitt verklagt.

Gesundheitsstadträtin Wehsely hat die Kaiserschnittquote "auf dem Radar", heißt es aus ihrem Büro. Sie will mehr Transparenz und Bewusstsein sowohl bei den Frauen als auch bei den Ärzten schaffen. Die Stadt hat jüngst eine Broschüre herausgebracht, wo die Liste der Risiken bei einem Kaiserschnitt länger ist als jene gegenüber einer natürlichen Geburt. Auch eine Kaiserschnitt-Studie hat die Stadt durchgeführt. 60 Prozent der Frauen gaben darin an, dass sie sich aufgrund der Empfehlung ihres Arztes dazu entschlossen haben.

Laut dem römischen Schriftsteller Plinius leitet sich der Name "Caesar" daraus her, dass der erste Träger dieses Namens aus dem Mutterleib geschnitten wurde - "sectio caesarea" heißt cäsarischer Schnitt. Da aus "Caesar" der Begriff Kaiser entstand, wurde analog aus der sectio caesarea der Kaiserschnitt. Dass Julius Caesar selbst durch Kaiserschnitt entbunden worden sei, ist eine Legende, da seine Mutter die Geburt überlebte. Dies kam damals praktisch nicht vor. Die Herleitung von Caesones (Schnittlingen), d.h. durch Aufschneiden der Mutter geborene Kinder, ist ebenfalls möglich. Spätestens ab dem 6. Jahrhundert findet sich im Römischen Recht die Verpflichtung, an einer im Sterben liegenden oder soeben verstorbenen Schwangeren einen Kaiserschnitt vorzunehmen, um das Kind zu retten. Bis in die Neuzeit war der Kaiserschnitt fast immer mit dem Tod der Mutter verbunden. Der erste bekannte erfolgreiche Kaiserschnitt an einer Lebenden wurde 1500 in der Schweiz vom Schweinekastrierer Jacob Nufer vorgenommen. Seine Frau überlebte die Prozedur nicht nur, sondern brachte im nächsten Jahr auf natürlichem Wege Zwillinge zur Welt. 1881 wurde von Ferdinand Adolf Kehrer der erste klassische Kaiserschnitt durchgeführt. Diese Methode, bei der nicht von oben nach unten, sondern quer geschnitten wird, wird in der Modifikation nach Hermann Johannes Pfannenstiel, auch heute noch überall angewendet.

Geschichte

Die Kaiserschnittrate ist im Norden gering, im Süden oft sehr hoch. In einigen Privatkliniken in Brasilien beispielsweise liegt die Kaiserschnittquote bei rund 70 Prozent. Unter den für das Jahr 2013 vorliegenden Kaiserschnittquoten der OECD rangiert die Türkei mit 50,4 Prozent an oberster Stelle, gefolgt von Italien (36,1 Prozent), Polen (34,6 Prozent) und Österreich mit 28,8 Prozent. An unterster Stelle liegt Schweden mit 16,4 Prozent, Finnland mit 15,8 und Israel (15,4).

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