Zum Hauptinhalt springen

Der Schöpfer des "Roten Wien"

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Heute, Donnerstag, jährt sich zum 50. Mal der Todestag von Karl Seitz. Er war der erste Staatspräsident der Republik Österreich, nach dem Tod von Parteigründer Victor Adler der zweite | Parteivorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie und für die Männer der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 der Verbindungsmann in Wien. Unvergessen ist er aber als der Wiener Bürgermeister, | der als Schöpfer des "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit gilt, obwohl ihm seine Heimatstadt kurioserweise bis heute noch keine Straße und keinen Platz gewidmet hat.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sein politischer Werdegang war dem fünften von sieben Kindern eines wohlhabenden Wiener Holzhändlers nicht in die Wiege gelegt. Am 4. September 1869 geboren, wurde Seitz schon mit sechs Jahren

Halbwaise. Weil die Mutter nach dem Tod des Vaters die Familie kaum erhalten konnte, wuchs Karl Seitz ab dem 12. Lebensjahr in einem Waisenhaus auf, wo der liberale Gemeinderat Wilhelm Baecher seine

Begabung entdeckte und ihm einen Freiplatz im Lehrerseminar von St. Pölten verschaffte.

Beinahe wäre ihm dort das Zeugnis verweigert worden, weil er in einer Abschlussrede scharf den Antrag des niederösterreichischen Abgeordneten Prinz Aloys Liechtenstein kritisierte, die Schulpflicht

von acht auf sechs Jahre zu verkürzen und in der Volksschule nur die Gegenstände Religion, Lesen, Rechnen und Schreiben zu unterrichten.

Seine Berufslaufbahn begann Seitz 1888 als schlechtbezahlter Lehrer in einer Ottakringer Schule und bereits ein Jahr später begründete er eine sozialdemokratische Lehrerorganisation. Die Armut seiner

Schüler veranlasste ihn zu sozialen Hilfsaktionen. 1897 wurde Karl Seitz in den Bezirksschulrat gewählt und erhielt prompt wegen seiner politischen Betätigung · Bürgermeister Karl Lueger wollte keine

Lehrer, die nicht seiner Bewegung angehörten · ein Disziplinarverfahren und einen Verweis.

1901 wurde Seitz als erster Sozialdemokrat außerhalb der allgemeinen Wahlkurie im Städtewahlkreis Weinviertel, zu dem neben Floridsdorf auch die Orte Korneuburg, Stockerau, Oberhollabrunn, Retz,

Eggenburg, Maissau, Laa an der Thaya, Poysdorf, Zistersdorf, Feldsberg und Mistelbach gehörten, in den Reichsrat gewählt, nachdem er in der Stichwahl den Christlichsozialen Franz Richter geschlagen

hatte. Ein Jahr später zog er auch in den niederösterreichischen Landtag ein.

1900 hatte Seitz Emilie Heindl, ebenfalls eine Lehrerin, geheiratet.

Seitz war der erste führende Sozialdemokrat, der 1915 offen gegen den Krieg auftrat, bei dessen Ende er einer der drei Nationalratspräsidenten sein sollte. Am 12. November 1918 verkündete er auf der

Parlamentsrampe die Ausrufung der Republik. Er folgte auch Victor Adler, der einen Tag zuvor gestorben war, an der Spitze der Sozialdemokratischen Partei.

Ab dem 15. März 1919 war Seitz, dessen Partei aus den Wahlen als stärkste Kraft hevorgegangen war, als Erster Nationalratspräsident auch erstes Staatsoberhaupt der Republik. In der von der

Bundesversammlung Ende 1920 durchgeführten ersten Bundespräsidentenwahl unterlag er jedoch dem christlichsozialen Kandidaten Michael Hainisch.

Am 13. November 1923 wurde Karl Seitz als Nachfolger des aus Altersgründen zurückgetretenen Jakob Reumann zum Wiener Bürgermeister gewählt. Mit seinem Team, dem so hervorragende Persönlichkeiten wie

Julius Tandler, Hugo Breitner und Robert Danneberg angehörten · die ersten beiden starben später im Exil, Danneberg wurde in Auschwitz ermordet · gelang es Seitz bahnbrechende Maßnahmen im sozialen,

wohnbaulichen und kulturellen Bereich zu setzen, die zwar von den politischen Gegnern heftig bekämpft wurden, ihm in der Bevölkerung aber ungeheure Popularität und aus dem Ausland Bewunderung

einbrachten.

"Der Mensch ist kein Akt" war seine Devise als Bürgermeister. An Sonntagen besuchte er die Patienten in Lainz. Als seine vielleicht größte persönliche Niederlage betrachtete es Seitz, daß es ihm

trotz seiner Popularität nicht gelungen war, am 15. Juli 1927 das Massaker beim Justizpalastbrand zu vermeiden.

Am 12. Februar 1934 wurde Seitz unter der christlichsozialen Regierung von Engelbert Dollfuß aus dem dem Wiener Rathaus geschleppt und war bis Dezember in Haft. Auch danach wurde er ständig von der

Polizei überwacht. In seiner Wohnung wurden zwei Kriminalbeamte einquartiert und man machte ihm sogar für seine Spaziergänge Vorschriften.

1938, nach dem Anschluß, als er kurzfristig wieder in Haft war, weigerte er sich bei der Volksabstimmung mit Ja zu stimmen: "Davon ham's ja gar nichts, weil die Leute sagen werden, jessas, jetzt ist

der Seitz a scho nimma g'scheit im Kopf".

1943 starb seine Frau Emilie, nach dem 20. Juli 1944 wurde Seitz, der für die Widerstandsbewegung als Verbindungsmann für Wien vorgesehen war, neuerlich in Haft genommen und mit dem ehemaligen

niederösterreichischen Landeshauptmann Josef Reiter gemeinsam nach Berlin gebracht. Anschließend wurde er im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück interniert, wo auch viele Familienangehörige der

Männer des 20. Juli waren. Rosa Jochmann erinnerte sich später oft an das Entsetzen unter den Häftlingen als bekannt wurde, daß auch Seitz ins KZ gekommen war.

Im März 1945 aufgrund von Interventionen des Himmler-Leibarztes Felix Kersten in die Verbannung nach Plauen entlassen, kehrte Seitz erst im Juni 1945 nach Wien zurück, wo er vor dem Rathaus im

Morgengrauen buchstäblich vor verschlossenen Türen stand.

Seine Hoffnung, wieder Wiener Bürgermeister zu werden, erfüllte sich · nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen · nicht. Beim Parteitag der SPÖ im Spätherbst 1945 wurde er auch nicht wieder zum

Vorsitzenden gewählt, sondern Ehrenvorsitzender.

Karl Seitz, der im August 1945 die um 30 Jahre jüngere Emma Seidl, die Tochter der Abgeordneten Amalie Seidl geheiratet hatte, gehörte dann hochgeehrt bis zu seinem Tod am 3. Februar 1950 dem

österreichischen Parlament an, in das er 49 Jahre zuvor zum erstenmal gewählt worden war.

Zum Gedenken an Karl Seitz wird morgen Freitag im Karl-Seitz-Zentrum (Wien 21, Jedleseerstraße 66·69) eine Ausstellung eröffnet, die bis 11. Februar täglich von 12 bis 18 Uhr zu sehen ist.