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Der Schrecken der Meere

Von Heiner Boberski

Wissen
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Ein Riesenkalmar und ein Pottwal im Kampf - ein immer wieder vorkommendes Unterwasser-Drama in einer Darstellung im American Museum of Natural History, New York.
© wikimedia/Mike Goren

Neue Erkenntnisse über Riesenkalmare geben den Forschern neue Rätsel auf.


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Wien. Wer den Film "20.000 Meilen unter dem Meer" gesehen hat, wird den darin vorkommenden Kampf mit einem Riesenkalmar, eine der bis dahin aufwendigsten Szenen der Filmgeschichte, kaum vergessen haben. Das Walt-Disney-Opus nach einem Roman von Jules Verne erhielt 1955 auch den Oscar für "beste visuelle Effekte". Die gigantischen Tintenfische mit ihren bis zu 18 Meter langen Tentakeln gelten, vor allem durch Schauergeschichten von Seeleuten, denen zufolge sie ganze Schiffe umschlingen können, als Schrecken der Meere. Dass sie nicht nur Fabelwesen sind, sondern wirklich existieren, wurde erst relativ spät wissenschaftlich bewiesen. Der Schnabel eines 1854 in Jütland (Dänemark) gestrandeten Tieres wurde vom dänischen Naturforscher Japetus Steenstrup untersucht, der drei Jahre später den Riesenkalmar erstmals unter der Artbezeichnung "Architeuthis dux" fachmännisch beschrieb.

Was die Wissenschafter von heute erstaunt, ist das gerade in den "Proceedings B" der britischen Royal Society publizierte Ergebnis einer Analyse des Erbgutes von 43 Architeuthis-Exemplaren. Die Riesentintenfische sind Kosmopoliten und leben schon lange in einer globalisierten Welt, denn sie gehören alle einer einzigen Art an. Dabei stammt das untersuchte Material aus ganz verschiedenen Weltregionen - es wurde vor den Küsten Australiens, Neuseelands, Japans, Floridas und Spaniens geborgen.

Das internationale Forscherteam um Inger Winkelmann von der Universität Kopenhagen konzentrierte sich bei der Untersuchung auf die überschaubare mitochondriale DNA, die im Fall der Riesenkalmare aus rund 20.000 Grundbausteinen, den Basenpaaren, besteht. Dabei stellten die Wissenschafter fest, dass sich das Erbgut von Tier zu Tier nur sehr geringfügig unterschied. Diese enorme Ähnlichkeit aller Kalmare widerlegt bisherige Annahmen, es gebe - wie bei anderen Meerestieren, inklusive Tintenfischen - eine größere Zahl von regionalen Variationen und unterschiedlichen Populationen. Warum eine einzige Art diese weltweite Verbreitung besitzt, darüber lässt sich seitens der Forschung nur spekulieren. "Wir haben jetzt mehr Fragen als vorher", erklärte Tom Gilbert vom Dänischen Naturkundemuseum, der an der Studie beteiligt war.

Funde in Walmägen

Wenn es nur eine Art von Architeuthis dux gibt, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Tiere aufgrund der Meeresströmungen über weite Teile der Ozeane ausbreiten konnten - ausgenommen die kalten Polarregionen. Vielleicht wandert nur der winzige Nachwuchs über die Weltmeere, während erwachsene Tiere sesshaft bleiben. Einiges spricht dafür, dass ihre Zahl in jüngerer Zeit stark gestiegen ist - wegen des Klimawandels und wegen der Dezimierung ihrer natürlichen Feinde, der Wale, durch Walfänger. Dass sich Riesenkalmare und Wale immer wieder Schlachten liefern, weiß man aufgrund entsprechender Narben an Walkörpern und aus dem Mageninhalt von Pottwalen. In Walmägen wurden etliche der für die jüngste Studie untersuchten Körperteile von Riesenkalmaren gefunden.

Architeuthis dux lebt meist in rund 500 Meter Tiefe unter dem Meeresspiegel und gibt noch einige Rätsel auf. Wie alt die Tiere genau werden - vermutlich nur wenige Jahre -, ist ebenso unbekannt wie ihr Vorgehen, wenn sie Beute machen wollen. Manche Biologen vermuten, dass die riesigen Tintenfische faul im Hinterhalt auf kleinere Artgenossen und Fische lauern, andere halten sie für sehr aktive Jäger.