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Der Schulterschluss ist eine Tochter der Zeit

Von Walter Hämmerle

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Österreich ist nicht Frankreich, allerdings ist 2016 auch nicht 2002. Und die FPÖ in den Augen der Mehrheit längst kein Ungeheuer mehr.


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Frankreich, im Frühjahr 2002: Das Volk ist seiner Regierenden überdrüssig - und das ist noch freundlich formuliert. Die Eliten kümmert das allerdings wenig. So kommt es, dass beim ersten Wahlgang für das Amt des Staatspräsidenten der rechtsextreme Gründer und Parteichef des Front National, Jean-Marie Le Pen, also der Protest- und Anti-Establishment-Bewegung par excellence, in die Stichwahl gelangt, wo er auf den Jacques Chirac, den konservativen Amtsinhaber, trifft, der nur blamable 19 Prozent schafft.

Daraufhin ringen sich weite Teile der Linken dazu durch, zur Wahl Chiracs aufzurufen, der schließlich mit 82 Prozent weitere sechs Jahre im Elysee-Palast residieren kann.

Österreich, im Frühjahr 2016: Das Volk ist seiner Regierenden überdrüssig - und das ist sogar noch mehr als freundlich formuliert. Beim ersten Durchgang für die Wahl des Bundespräsidenten gelingt Norbert Hofer, dem Kandidaten der Protest- und Anti-Establishment-Bewegung par excellence, ein sensationeller Erfolg. In der Stichwahl trifft er auf den grünen Alexander Van der Bellen, dem Vertreter einer Partei, die sich selbst als Vertretung der Nicht-Vertretenen versteht, von diesen selbst aber als Teil "von denen da oben" gesehen wird.

Die wenigen Rufe nach einem Schulterschluss gegen einen FPÖ-Politiker in der Hofburg verhallten ungehört.

2002 ist nicht 2016, und Österreich auch nicht Frankreich. Mit der Aussicht auf eine freiheitliche Regierungsbeteiligung kann man hierzulande heute nur noch eine Minderheit erschrecken, die Mehrheit hat damit kein Problem. Davon zeugen nicht nur aktuelle Umfragen, welche die Partei stabil bei 30-Prozent-plus als relativ stärkste Kraft sehen; auch die Debatte im Wahlkampf darüber, ob ein Bundespräsident eine FPÖ-geführte Regierung verhindern soll, wenn diese über eine Mehrheit verfügt, zeigt ein ähnliches Bild: Er soll nicht.

Die Zeiten, in denen die Bürger den Freiheitlichen ihre Stimme gaben, damit diese nur als Hecht im Karpfenteich die fetten Fische auf Trab halten, sind vorbei. Heute wollen diejenigen, die blau wählen, die FPÖ auch in der Verantwortung sehen. Und ein größerer Teil des Rests hat damit kein Problem.

So gesehen wären Aufrufe zu einem Schulterschluss gegen die FPÖ allenfalls ein gelungener Beitrag zum aktuellen Cervantes-Jahr. Das blaue Ungeheuer ist in den Augen einer ziemlich eindeutigen Mehrheit nämlich kein Ungeheuer, sondern eine harmlose Windmühle.

Überhaupt, aber das ist ein taktisches Argument, würde - angesichts des ausgeprägten Misstrauensvotums vom vergangenen Sonntag - der Versuch einer Einheitsfront des Establishments wohl lediglich die Anti-Establishment-Bewegung stärken. Die Anhänger Alexander Van der Bellens sollten sich daher besser aussichtsreichere Strategien für einen Sieg überlegen.

Zurück nach Frankreich. Dort werden der der Tochter Jean-Marie Le Pens, Marine, gute Chancen eingeräumt, bei den Präsidentschaftswahlen 2017 nicht nur in die Stichwahl einzuziehen, sondern sogar zu gewinnen. Warum? Weil die Regierenden und Eliten einfach immer so weiter gemacht haben wie immer schon.