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Jahrelang war es das Liebkind des Boulevards. Jetzt haben Qualitätsmedien Gefallen am Stereotyp des schwarzen Drogendealers gefunden. Eine Polemik.
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Wien. Es ist wieder da. Einige würden gar behaupten, dass es nie wirklich weg war. Dann, wenn man die Straßenseite wechselt oder absichtlich anpeilt, weil man es zu erkennen glaubte. Auf der Polizeiwache, wo man es doch schon so oft angehalten hatte. In der Kurzmeldung, die durchgerutscht ist, weil ein Redakteur nicht aufgepasst hatte oder aufpassen wollte. Seit knapp einem halben Jahr ist das Bild wieder da. Nicht nur am Stammtisch, vor dem Fernseher oder auf dem Wachzimmer, sondern überall. Der schwarze Drogendealer. Ohne Hemmungen ist dieser Tage von ihm die Rede. Gerne auch in Variationen. Mal als schwarzafrikanischer Drogendealer, mal als nordafrikanischer, mal als westafrikanischer Drogendealer. Und jene, die ganz genau sein wollen, begrenzen sich auf gewisse Länder und nennen das Kind, das sie so gerne beim Namen nennen möchten: der nigerianische Drogendealer.
Begründet wird diese semantische Zuversicht mit der Situation an verschiedenen Wiener U-Bahnstationen, wo junge schwarze Männer in den vergangenen Monaten öffentlich mit Drogen dealten. Anrainer und Passanten fühlten sich belästigt und wurden gar angepöbelt, wenn sie nichts kaufen wollten. Sie beobachteten Revierkämpfe und Schlägereien. Und eine Polizei, die dem Geschehen machtlos ausgeliefert zu sein schien. Nur wem Erwerbsmäßigkeit beim Drogenhandel nachgewiesen werden konnte, hatte bisher mit Konsequenzen zu rechnen. Der Rest musste nach kurzer Zeit freigelassen werden. Seit 1. Juni ist das anders. Wer nun beim Dealen im öffentlichen Raum erwischt wird, sitzt mindestens zwei Jahre in Haft. Seither jagt die Polizei junge schwarze Männer im großen Stil. Mit den Medien im Schlepptau.
Es ist ein Déjà-vu für viele. An die Bilder erinnern sie sich zu gut. Sie dominierten schon einmal die Covers und Bildschirme. Damals vor 17 Jahren am 27. Mai 1999 waren mehr als 800 Polizisten auf der Jagd nach Drogendealern. "Operation Spring" nannte sich die größte kriminalpolizeiliche Aktion seit 1945. Österreichweit wurden Wohnungen und Flüchtlingsheime gestürmt und zahlreiche schwarze Männer festgenommen. Viele aufgrund eines falschen Verdachts. Im Boulevard wurde die Aktion bejubelt und der Schlag gegen "das nigerianische Drogenkartell" gefeiert.
"Die Journalistik hat nichts gelernt"
Traumatisch war die Aktion für die Community, erinnert sich der Journalist Simon Inou. "Mehrere Wohnungen von meinen Freunden wurden durchsucht, ohne irgendwelche Ergebnisse", erzählt er. Das Verhältnis der schwarzen Community zur Polizei war in dieser Zeit ohnehin fragil. Erst wenige Wochen vor der Operation Spring war der nigerianische Asylwerber Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung erstickt. Beamte hatten ihn im Flugzeug am Sitz gefesselt, wobei sie auch seinen Mund und seine Nase mit Klebebändern umwickelt hatten. Als sich Schwarze daraufhin in Wien zu einer Demonstration versammelt hatten, gerieten sie prompt ins Visier der anlaufenden Operation Spring. Weiße Schals, die von einigen als Zeichen der Trauer getragen wurden, identifizierten die Beamten und der Boulevard als Indiz für eine interne Hierarchie der vermeintlichen Drogenbossen. Der Topos vom schwarzen Drogendealer erreichte in diesen Tagen seinen Peak.
Heute, 17 Jahre später, hat sich nichts geändert, befindet Simon Inou. Seit 21 Jahren lebt der einstige Flüchtling aus Kamerun nun in Österreich und zählt zu den Fixgrößen der heimischen Medienbranche, wenn es um interkulturelle Medienarbeit geht. "Ich habe es einfach satt", sagt er, "die Berichte der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die österreichische Journalistik nicht gelernt hat nicht diskriminierend zu berichten." Doch etwas hat sich geändert. War es früher der Boulevard, der sich darin gefiel, das Bild des schwarzen Drogendealers zu zeichnen, ziehen nun auch Qualitätsmedien nach, beispielsweise wenn renommierte Journalisten in den Abendnachrichten im ORF von "schwarzafrikanischen Drogendealern" sprechen und so den Polizeijargon ungefiltert übernehmen.
"Auch in den Qualitätsmedien wird das nicht hinterfragt und in keinen Kontext gestellt. Man merkt einfach, dass die Leute keine Lust mehr haben, sich differenziert mit dem Thema auseinanderzusetzen", kritisiert Clara Akinyosoye. Die 28-Jährige ist Online-Redakteurin beim ORF und Autorin zahlreicher Publikationen zum Thema Migration und Diversität in Österreich. Viele Jahre hat die Journalistin beobachtet wie in Österreich mit Stereotypen umgegangen wird. "Bei der Kriminalitätsberichterstattung waren die Medien nie so richtig an Bord. Die Herkunft war immer ein Thema. Es wird nichts in Kontext gestellt", sagt sie.
Angst, als "Lügenpresse" beschimpft zu werden
Seit den Vorfällen am Hauptbahnhof Köln seien auch bei den Letzten die Hemmungen gefallen, befindet Akinyosoye. Die Silvesternacht von Köln, in der zahlreiche Frauen bestohlen und sexuell belästigt worden sind von Männern, die vorwiegend aus nordafrikanischen Ländern stammten, wird als Zäsur in der deutschsprachigen Medienwelt begriffen. Zu spät hätte man von den Vorfällen berichtet, sie bewusst verschwiegen, weil unter den Täter auch Migranten gewesen sind, so die Kritik. "Lügenpresse", wurde so gleich geschrien. Seither sind die deutschen Journalisten in der Bredouille. Herkunft nennen oder nicht? Hält man an der alten Linie fest, die der deutsche Presserat vorgegeben hat, und lässt sich als Teil eines ominösen "Schweigekartells" beschimpfen? Oder beginnt man "Dinge beim Namen" zu nennen, wie es alle verlangen?
Der deutsche Presserat hielt in der Frage an seinem Kodex fest: "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte." Einige deutsche Medienmacher plädierten dafür, dass ihr Publikum mündig genug sei, mit gewissen Fakten umgehen zu können, und wandten sich offen gegen die Empfehlung des Presserats.
"Dieser Diskurs der Lügenpresse wird damit befeuert, dass die These vertreten wird, man würde über die klassischen Medien über Themen wie Kriminalität von Ausländern nicht die ganze Wahrheit erfahren. Jetzt reagiert ein Teil der Medien darauf durchaus kopfscheu - wie die ,Kronenzeitung‘ -, dass man sagt, wir sind nicht teil der Lügenpresse, wir schreiben das ja eh immer", sagt der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell von der Universität Wien.
Kein Ethikverstoß
Dabei müssen sich österreichische Medien ja noch nicht einmal vor einem Presserat diesbezüglich rechtfertigen. Denn hierzulande stellt sich die Frage nicht, ob es ethisch vertretbar ist die Herkunft, Ethnie oder Hautfarbe zu nennen oder nicht. "Grundsätzlich darf man die Nationalität nennen, aber man soll überlegen, ob das für die Geschichte relevant ist, damit man sie versteht. Das ist im Ermessen des Journalisten. Wir mahnen aber zurückhaltend zu sein. Wir würden aber keinen Ethikverstoß feststellen", sagt Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Österreichischen Presserats. Ähnlich sieht es mit der Hautfarbe aus, wenn beispielsweise vom schwarzen Drogendealer die Rede ist. "Ich glaube nicht, dass es unsere Senate verurteilen würden, wenn gesagt wird, dass Schwarze mit Drogen dealen, solange es genug Quellen dafür gibt wie beispielsweise Auskünfte der Polizei", erklärt Warzilek.
In ihren Aussendungen macht die Polizei keine Angaben über die Herkunft, Ethnie oder Hautfarbe eines Verdächtigen oder eines Täters. Lediglich auf Nachfrage informieren die Beamten über biografische Details. Seit Köln finden sich diese nun auch vermehrt in den Zeitungen.
Zurückhaltung findet sich dabei kaum. Nur bei einigen Begrifflichkeiten scheint sich eine rote Linie etabliert zu haben. Beispielsweise stelle das Wort "Neger" ganz klar eine Ethikverstoß da, auch für den österreichischen Presserat. Alle anderen Zuschreibungen liegen im Ermessen des einzelnen Journalisten. Und der scheint am schwarzen Drogendealer quer durch die Bank Gefallen gefunden zu haben.