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Für Graf Berghe von Trips ist der große Triumph zum Greifen nah. In ein paar Stunden würde man den Deutschen als neuen Formel-1-Weltmeister feiern. Davon waren Fachwelt, Publikum und sein Dienstgeber Ferrari überzeugt. Trips, 33 Jahre alt und der sympathische Star der Grand-Prix-Szene, war in den letzten Jahren zu einem zuverlässigen Fahrer gereift, dem die erfolgreiche Rennwagenschmiede in Maranello mit dem 190 PS starken Dino 156 ein nur schwer zu schlagendes Renngerät auf den Asphalt gezaubert hatte.
Hinter Trips folgen in der Startaufstellung der Debütant Ricardo Rodriguez, Phil Hill und Richie Ginther - alle auf Ferrari. Das Fest war angerichtet, der Champagner eingekühlt, das Rennen selbst sollte nicht mehr als der symphonische Auftakt aus Benzindunst, Reifenabrieb und Motorenlärm sein. So dachte man damals in Monza, am frühen Nachmittag des 10. September 1961.
Adel und Sportsgeist
Der letzte männliche Nachkomme eines auf dem rheinländischen Schloss Hemmersbach ansässigen Adelsgeschlechts verkörperte den Idealtyp des zu jener Zeit an den Rennstrecken häufig anzutreffenden "Herrenfahrers". Es waren dies Männer, die für den Erwerb eines Rennwagens ganze Ländereien verkauften, Wert auf eine makellos gebundene Fliege legten, davon überzeugt waren, ohne Schuhe die Pedale gefühlvoller bedienen zu können und den Abend nach dem Rennen mit einem rauschenden Fest an der Bar ausklingen ließen.
Bei Wolfgang Graf Berghe von Trips paarten sich Ritterlichkeit, Wagemut und gutes Aussehen mit der Passion zum Rennfahren. "Du bist ein netter Kerl", lachte sein Fahrerkollege Hans Herrmann, "aber dein Name ist zu lang." Die finanziellen Mittel hingegen waren knapp. Ein reparierter, auf Pump erstandener Unfall-Porsche war Trips’ erstes Renngerät. Hätte er den Kredit nicht durch das Preisgeld zurückzahlen können, wäre ein demütiger Bittgang nach Hemmersbach notwendig geworden.
Doch das Schicksal meinte es gut mit dem jungen Rennfahrer. 1954 startete er in der Grand-Tourismo-Klasse und wurde am Ende der Saison als deutscher Meister gefeiert. Bereits im Frühjahr hatte er einen Klassen-Gewinn bei der Mille Miglia eingefahren. 1955 holte ihn Mercedes ins Sportwagenteam, wo Kapazunder wie Juan-Manuel Fangio, Stirling Moss und Karl Kling am Lenkrad der 300 PS starken SLR saßen. Wer weiß, welch ein legendäres Duo der Graf und die Untertürkheimer Edelschmiede geworden wären, hätte sich Mercedes nicht Ende des Jahres aus dem Rennsport zurückgezogen.
Schon aber war eine andere Marke, deren Avancen jeden Rennfahrer ehrten und für die ein Mann mit dunkler Brille verantwortlich war, auf das junge Talent aufmerksam geworden: Enzo Ferrari lud Trips zu Testfahrten nach Italien ein. Der Commendatore setzte nach dem Abgang des argentinischen Superstars Juan-Manuel Fangio auf seine "squadra primavera", das "Frühlingsteam", dem junge Fahrer mit frischen und unverbrauchten Kräften angehören sollten. So einer wie Trips eben. Dessen Testfahrt in Monza war nach einem Unfall in der Steilwandkurve zwar schnell beendet, trotzdem erhielt der 28-Jährige am 10. September 1956 einen Werksvertrag bei Ferrari.
Bei seinem Formel-1-Debüt im argentinischen Grand Prix in Buenos Aires wird er Sechster, und in seinem ersten Rennen in Monza setzt er seinen ersten Glanzpunkt: Er erreicht als Dritter nicht nur den ersten Podestplatz seiner Karriere, sondern bewahrt als einziger Ferrari-Fahrer in den Punkterängen seinen Rennstall vor einem Heim-Debakel. Sein Auftritt bei der Mille Miglia 1957, wo er dem mit großen Getriebeproblemen kämpfenden Italiener Piero Taruffi den Sieg in seinem Heimrennen überließ, imponierte dem Publikum.
Eine Kollision mit Harry Schell im Grand Prix von Monza beendet zum Saisonschluss 1958 vorerst Trips’ Ferrari-Karriere. Der Deutsche erweist sich oft als zu ungestüm und zeigt sich vor allem in der Startphase eines Rennens als enorm unfallanfällig. Das ändert sich auch nicht, als er 1959 auf Porsche in der Formel 1 startet. Nachdem er 1958 für die Zuffenhausener Berg-Europameister geworden war, träumt man in Deutschland wieder von "silbernen" Zeiten, die mit dem Duo Trips/Porsche ihre Auferstehung feiern sollten.
Daraus wird allerdings nichts. Porsches Formel-1-Ambitionen sind nicht ernsthaft genug, und Trips fehlt noch die fahrerische Zuverlässigkeit. Die Fachwelt zweifelt an seinem fahrerischen Talent und verpasst ihm bald den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Count Crash". Bei seinen Kollegen jedoch genießt er einen tadellosen Ruf: "Nie wäre es ihm eingefallen", erinnert sich Stirling Moss, "zur Verteidigung seiner Position über die Randsteine hinauszufahren, damit der Hintermann die Steine abbekommt."
1960 holt ihn Ferrari zurück. Verglichen mit den grazilen Mittelmotor-Wagen von Cooper und Lotus, die wie auf Schienen durch die Kurven ziehen, wirken die Ferrari mit dem veralteten Frontmotorkonzept wie behäbige Dinosaurier. Doch Trips erzielt beachtliche Platzierungen und beendet die Saison als WM-Siebenter. Seine Unfallanfälligkeit hat sich reduziert, mittlerweile wird er respektvoll "Taffy" genannt, eine vom englischen Wort "tough" abgeleitete Bezeichnung für einen tapferen Burschen.
Das "Haifischmaul"
In Monza 1960 wurde Trips mit einem Formel-2-Boliden, den man zu Testzwecken für eine von Grund auf neue Konstruktion eines extrem leichten Monopostos mit Mittelmotor eingesetzt hatte, Fünfter. Die Konkurrenz ahnt, dass es sich dabei um Ferraris Rennwagen für die nächste Saison handelt, wenn der Hubraum von 2,5 auf 1,5 Liter reduziert wird.
Bald schon wird der Dino 156 als "Haifischmaul", wie er wegen seiner charakteristischen Frontpartie genannt wird, seinen Beutezug auf Formel-1-Siege antreten. Für Trips scheint sich 1961 das Blatt endgültig zu wenden. Alle Enttäuschungen, Tiefschläge, Ausbootungen und sein geringes Rennglück scheinen einen schicksalhaften Ausgleich zu erhalten. Am 22. Mai 1961 gewinnt Trips im holländischen Zandvoort seinen ersten Grand Prix. Zum ersten Mal seit H.P. Müllers Sieg in Reims vor 22 Jahren darf die einst so mächtige "Silberpfeil"-Nation wieder über einen Grand-Prix-Sieg jubeln! Erinnerungen an die legendären Vorkriegshelden Rudolf Caracciola und Bernd Rosemeyer werden wach.
Der weltläufige, mehrsprachige und charmante Graf erweist sich als extrem medientauglich. Er wirbt für Autozubehör und Agrarprodukte, verfasst für "Bild am Sonntag" Autotestberichte und gibt den Autofahrern Sicherheitstipps. Nebenbei bringt er Spaniens zukünftigem König Juan Carlos das Autofahren bei und macht in Deutschland den Kart-Sport populär. Nahe der Burg Hemmersbach lässt er eine Bahn für den Motorsportnachwuchs bauen.
Im belgischen Spa-Francorchamps wird er um sieben Zehntelsekunden von seinem Teamkollegen, dem Amerikaner Phil Hill, auf Platz zwei verwiesen. Im englischen Aintree dreht Trips den Spieß um und führt überlegen einen Dreifach-Triumph von Ferrari an. Bei seinem Heimrennen am Nürburgring wird er hinter Stirling Moss Zweiter.
Als WM-Führender kommt Trips nach Monza, erstmals in seiner Karriere erzielt er Trainingsbestzeit. Nicht nur er ist überzeugt, dass er hier bereits den Titelkampf zu seinen Gunsten entscheiden und sich den Ausflug zum Finale im amerikanischen Watkins Glen ersparen könnte.
Doch Trips verpatzt den Start. Phil Hill, sein härtester Konkurrent im Titelkampf, schießt aus der zweiten Startreihe in Führung. Nach der ersten Runde liegt Trips nur auf Rang sechs. Er muss attackieren, will er Hill nicht schon allzu früh davonziehen lassen. Zwischen den beiden Lesmokurven schnappt er sich Jack Brabham. Wenig später, bei der Anfahrt zur Parabolica, zieht er rechts an Jim Clark vorbei, lenkt aber zu früh auf die Ideallinie ein.
Das linke Hinterrad des Ferrari und das rechte Vorderrad des Lotus verhaken sich, die Kollision wirbelt die beiden Fahrzeuge auseinander. Während der Lotus in den Stillstand kreiselt, schießt der Ferrari des Grafen wie ein Torpedo auf die Böschung, überschlägt sich, dreht sich dann wie das Rotorblatt eines Hubschraubers mehrmals um die eigene Achse, kracht zweimal inmitten der Zuschauer auf, ehe er zurück auf die Rennbahn schleudert. Der Drahtzaun, hinter dem die Zuschauer stehen, bietet keinerlei Schutz. 15 von ihnen werden von dem außer Kontrolle geratenen Boliden erschlagen. Trips wurde beim ersten Überschlag aus dem Cockpit geschleudert. Er bricht sich das Genick und ist auf der Stelle tot.
Während die Wrackteile notdürftig aus der Strecke geschoben werden, Rettungskräfte die Verletzten versorgen und Leichenwagen die Toten abtransportieren, läuft das Rennen weiter. Phil Hill wird als Sieger abgewinkt und gewinnt mit einem Punkt Vorsprung die WM. Der 10. September 1961 nimmt als "schwarzer Tag der Formel 1" einen schaurigen Platz in den Annalen des Rennsports ein.
Katastrophenbilanz
Es war dies die dritte Katastrophe im Motorsport innerhalb von sechs Jahren. 1955 hatte während des 24-Stunden-Rennens von Le Mans ein in die Tribünen katapultierter Mercedes über 80 Menschen getötet. Bei der Mille Miglia 1957 stand der von Trips dem Rennveteranen Piero Taruffi generös überlassene Heimsieg ganz im Schatten der Tragödie von Giudizzolo. In dem kleinen Ort war ein Sportwagen von der Strecke geschleudert und hatte außer den beiden Fahrern fünf Männer und fünf Kinder in den Tod gerissen. Nun diskutierte man abermals über den Sinn des Motorsports.
Die Schweiz hatte nach Le Mans 1955 Rundstreckenrennen verboten, Italien nach 1957 nie mehr die klassische Mille Miglia ausgetragen. Aber diesmal bleiben Konsequenzen aus. Auch Jochen Rindt und Ronnie Peterson werden später im "unheimlichen Park" von Monza sterben.
Auf den Tag genau fünf Jahre nach Unterzeichnung des Ferrari-Werkvertrags wurde Trips auf dem Weg zum Gewinn der Weltmeisterschaft vom Schicksal grausam ausgebremst. Die deutschen Sportjournalisten wählen ihn postum zum "Sportler des Jahres". Drei Jahrzehnte später tauchen die Brüder Michael und Ralf Schumacher in der Formel 1 auf. Der Ältere wird neue Maßstäbe setzen und alle bis dahin geltenden Rekorde pulverisieren. Beide erhielten ihre Grundausbildung im "Wolfgang Reichsgraf Berghe von Trips e.V. Kart-Club Kerpen-Manheim im DMV".
Thomas Karny, geboren 1964, lebt als Sozialpädagoge, Autor und Journalist in Graz. Mehrere Buchveröffentlichungen zur Zeit- und Motorsportgeschichte.