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Der Schwur

Von Daniel Bischof

Strafprozess gegen mutmaßliche Zuhälterin und Menschenhändlerin. "Ich dachte, dass die Mädchen ihre eigenen Bosse sind."


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Wien. Weinend sitzt O. auf der Anklagebank. Mit ihren Händen fährt sie sich über das Gesicht. Eine Zuschauerin reicht ihr ein Taschentuch. O. schluchzt. Sie muss warten. Auf eine Entscheidung. Im Besprechungszimmer berät der Schöffensenat gerade über ihre Schuld oder Unschuld.

"Ich bin nicht schuldig. Niemals!", hatte sie zuvor bei Verhandlungsbeginn gesagt und vehement den Kopf geschüttelt. Eine Menschenhändlerin, eine Zuhälterin, so wie von der Staatsanwaltschaft Wien behauptet, das sei sie nicht. O. habe sich im Rahmen einer kriminellen Organisation durch die "Prostitution der Opfer eine fortlaufende Einnahmequelle verschafft", meinte hingegen der Staatsanwalt.

Welche Version glaubwürdiger ist, darüber hatte am Donnerstagvormittag ein Schöffensenat des Wiener Straflandesgerichts (Vorsitz: Richterin Sonja Höpler-Salat) zu entscheiden.

Haare als Opfergaben

Die Geschichte rund um die Vorwürfe gegen O. beginnt in Nigeria. Im Herbst 2016 sollen zwei junge Mädchen, 15 und 16 Jahre alt, einen Juju-Schwur abgelegt haben. Dabei handelt es sich um ein regionales, traditionelles Ritual, bei dem Frauen verpflichtet werden, sich einer Herrin in Europa zu unterwerfen. Ihre "Schulden" müssen sie bei ihr abbezahlen. Opfergaben wie Fingernägel oder Haare der Frauen werden einbehalten. Ihnen wir eingeredet, dass ihnen oder ihren Familien durch schwarze Magie der Tod oder ein anderes Übel drohe, sollten sie den Schwur brechen.

Die beiden Minderjährigen sollen zuerst nach Rom gebracht worden sein, wo sie der Prostitution nachgehen mussten. Ab Februar 2017 lebten sie in der Wohnung von O. in Wien. In der Bundeshauptstadt arbeiteten sie in einem Sexstudio. 250 Euro für die Miete und Geld für das Essen sollen die Mädchen monatlich an O. zahlen haben müssen. O. soll dafür gesorgt haben, dass sie ihrer Arbeit nachgehen.

O., die ebenso aus Nigeria stammt, 2002 nach Österreich kam und als Prostituierte arbeitete, verneinte das. "Ich habe von ihnen nie Geld bekommen", sagte O., die stark stotterte. Oft musste sie einen Satz neu beginnen, bevor sie ihn zu Ende brachte.

Sie habe zwar gewusst, dass die Mädchen der Prostitution nachgehen. Sie hätten ihr aber erzählt, dass sie volljährig seien. Sie habe daher angenommen, dass sie legale Sexarbeiterinnen seien. Die Mädchen habe sie nur aufgenommen, weil ihre Mitbewohnerin "Sonja" sie darum gebeten habe. "Sie hat gesagt, das sind Schwestern eines Freundes." Welche Rolle Sonja spielt, woher sie die Mädchen kennt: Das bleibt unklar. Sie ist untergetaucht.

"Halten Sie uns nicht für blöd", ermahnte Richterin Höpler-Salat die Angeklagte. Sie verwies auf die Erfahrungen, die O. als Prostituierte gemacht habe. Ihre Aussage sei nicht glaubwürdig. "Ich dachte, dass die Mädchen ihre eigenen Bosse sind. Sie haben mir nie über einen Juju-Schwur erzählt", bekräftigte O. Sie habe gar nicht die Zeit gehabt, die Mädchen zu überwachen, da sie in einem Lokal immer bis spät in die Nacht hinein gearbeitet habe.

"O. hat sich um die Mädchen gekümmert und für sie gekocht", sagte Verteidiger Timo Gerersdorfer. Er verlangte einen Freispruch "im Zweifel". "Objektiv waren die Mädchen in einer Zwangslage. Die Frage ist, ob O. das erkannt hat", meinte der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer. Die DVD, auf der die Aussagen der Mädchen aus dem Ermittlungsverfahren aufgezeichnet sind, wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgespielt.

Beteiligten nicht ausgeforscht

Nur wenige Minuten braucht der Schöffensenat, um sein Urteil zu fällen. "Im Zweifel" wird O. freigesprochen. Da die wirklich Beteiligten, welche die Mädchen nach Wien gebracht haben, nicht ausgeforscht werden konnten, reiche die Beweislage für einen Schuldspruch nicht aus, so Höpler-Salat. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, der Staatsanwalt gab keine Erklärung ab. Selbst nachdem das Urteil gefallen ist, weint O. noch. "Vielen Dank", stottert sie, bevor sie den Saal verlässt.