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Der Skandal verdeckt die Verdienste

Von Norbert Hoyer Berlin

Politik

· Alle Feiern sind längst abgesagt. Die Gäste wurden diskret ausgeladen. Helmut Kohl, Kanzler der deutschen Einheit und 25 Jahre Vorsitzender der Christdemokraten, muss seinen | 70. Geburtstag heute in aller Stille begehen. Nach Jubel ist niemandem zumute. Seine Spendenaffäre überlagert seine Verdienste.


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Kohl selbst hat es mehrfach als Fehler bekannt, dass er zwischen 1993 und 1998 mehr als zwei Millionen Mark (1,023 Mill. Euro/14,1 Mill. Schilling) illegal als Spenden angenommen hat. Dafür müsse

er extrem büßen, hat er jüngst gesagt. Zugleich hoffte er aber auch: "In einiger Zeit wird man sicher das richtige Maß finden, um den Fehler zu bewerten."

In der Sache will der Patriarch der großen Volkspartei aber nicht nachgeben. Zwar hat er noch einmal sechs Millionen Mark gesammelt, um den zu erwartenden Schaden seiner Aktion für die CDU

wettzumachen, doch die Herkunft der früheren Gelder mag er nicht offen legen. Von Anfang an hat er sich auf sein Ehrenwort gegenüber den Spendern berufen. Im Streit mit seiner Partei über diese Frage

hat er demonstrativ den Ehrenvorsitz der CDU niedergelegt.

Die Geschichte Kohls müsse aber wegen dieses Skandals nicht umgeschrieben werden, sagen diejenigen, die in Büchern versucht haben, seinen Aufstieg vom Regionalpolitiker in Rheinland-Pfalz bis zum

weltberühmten Staatsmann zu erfassen. "Dass Helmut Kohl zur Erlangung und Erhaltung von Macht immer mit Belohnung und Bestrafung gearbeitet hat, wussten wir", erklärte jüngst beispielsweise der

Journalist Klaus Dreher, der vor zwei Jahren Kohls "Leben mit Macht" nachgezeichnet hat. "Dass er sehr verschwenderisch Posten verteilt und wieder entzogen hat, wussten wir auch." Nur die schwarzen

Kassen und geheimen Konten seien nicht bekannt gewesen.

Den "Bimbes-Kanzler" hat ihn das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" kürzlich genannt. "Bimbes" heißt in Kohls Heimat-Dialekt Geld. Und "Geld war ein Mittel für ihn, Abhängigkeiten zu schaffen",

schrieb das Magazin. "Persönliche Beziehungen stellte er höher als Gesetze".

"Ein Denkmal wankt" kommentierte in den Krisen-Tagen der Berliner "Tagesspiegel". Doch vom Sockel muss es nicht gestürzt werden, sagen viele einstige Freunde und sogar manche frühere Feinde.

Kohl habe sich maßgeblich um die deutsche Einheit und die europäische Einigung verdient gemacht, betonte die Ostdeutsche Angela Merkel nach ihrer Nominierung als neue CDU-Parteichefin. "Das ist und

bleibt seine Leistung." Sie wisse Verdienste und Fehler von einander zu trennen.

Insgesamt 16 Jahre hat Kohl Deutschland regiert, doch vor allem ein Jahr zählte: 1989. Da wusste der promovierte Historiker, der als Kind vom Schrecken des Zweiten Weltkrieges geprägt wurde, eine

historische Chance für sein Land zu nutzen. Er war es, der geschickt die Wiedervereinigung Deutschlands erreichte, nachdem die Bürger in der DDR mit einer friedlichen Revolution die Wende ertrotzt

hatten.

Das und die europäische Einigung · das Bemühen um einen EU-Binnenmarkt wie auch die gemeinsame europäische Währung · werden nach Einschätzung der meisten politischen Beobachter über den Skandal

hinaus mit seinem Namen verbunden bleiben. Irgendwann werden dahinter die Schattenseiten des Helmut Kohl wieder verblassen. Schon nach der verlorenen Parlamentswahl im September 1998, bei der er es

gegen den Rat vieler noch einmal wissen wollte, war es zunächst still um ihn geworden. Zum zehnten Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am 9. November 1999 wurde er dann wieder gefeiert.

Ein Auf und Ab zeigt die Sympathie-Kurve über die Jahre hinweg. Kohl ließ sich dadurch wie durch so vieles andere nicht irritieren. "Kohl kennt keinen Zweifel", notierte die Herausgeberin der

Wochenzeitung "Die Zeit", Marion Gräfin Dönhoff, in ihrer Geschichte der deutschen Kanzler über ihn. Er sei Pragmatiker wie Realpolitiker. Seine Kennzeichen seien Geduld, zu der das

sprichwörtliche Aussitzen von Problemen gehörte, und das zielsichere Gespür für Macht.

Das Vaterland und die deutsche Einheit sowie die Familie waren Werte, von denen Kohl sich stets leiten ließ. Zum Schluss seiner ungewöhnlich langen Regierungszeit hatte er die beiden deutschen

Staaten zusammengeführt, auch wenn die von ihm vorhergesagten "blühenden Landschaften" im Osten vielfach noch auf sich warten lassen. Nicht minder wichtig ist aber, dass dies im freundschaftlichen

Einvernehmen mit allen Nachbarn möglich wurde · im Westen und im Osten.