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Keine Erleichterung der Pandemie: Ob 5 oder 30 Grad, das Coronavirus ist bei jeder Temperatur gleich infektiös.
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Der Sommer kommt, doch die Maske bleibt. Das Coronavirus lässt die Menschheit selbst bei Badetemperaturen nicht los. Diesen enttäuschenden Befund stellen Wissenschafter der renommierten Universität Princeton im US-Staat New Jersey aus. Ihnen zufolge bringt die warme Jahreszeit keine Erleichterung.
Heißeres Wetter und eine höhere Luftfeuchtigkeit würden die Ausbreitung des Virus in nur geringem Ausmaß beeinflussen, berichtet das Team anhand von statistischen Auswertungen im Fachjournal "Science".
Noch im Februar hatten Experten ein anderes Szenario in Aussicht gestellt. Nachdem die Sars-Epidemie 2002/2003 auf der Nordhalbkugel im Winter begonnen und im Juli geendet hatte, entstand die Hoffnung, dass auch Sars-CoV-2 bei hohen Temperaturen abebben könnte. Eine andere These war, dass sich das neue Coronavirus ähnlich verhalten würde wie Grippeviren, deren aus Fetten bestehende Hülle mit höheren Temperaturen schneller zerfalle. "In der warmen Jahreszeit nimmt die Aktivität von Coronaviren ein bisschen ab. Die Kombination von Sonneneinstrahlung, Wärme und Luftfeuchtigkeit mögen sie nicht", hatte sogar der deutsche Top-Experte Alexander Kekulé im Interview mit der "Wiener Zeitung" erklärt.
Nun berichtet das Princeton-Team anderes: Der Einfluss der klimatischen Bedingungen auf den neuartigen Erreger sei gering. Zwar beeinflusse eine höhere Luftfeuchtigkeit die Ausbreitung anderer Coronaviren oder der Grippe, im Fall von Sars-CoV-2 sei aber das Fehlen einer "weitverbreiteten Immunität" entscheidend. Daher werde sich das Virus unabhängig von den klimatischen Bedingungen weiterhin schnell ausbreiten.
Auch das Pandemie-Geschehen in warmen Ländern, wie etwa Brasilien, Ecuador oder Australien, liefere Hinweise für diese These. "Es scheint, dass das Klima die Verbreitung (des Virus) derzeit nicht reguliert", erklärt Studienleiterin Rachel Baker.
Lichtblick Freizeitverhalten
Die US-Forscher gehen davon aus, dass das Wetter erst dann zu einem entscheidenden Faktor wird, wenn große Teile der Bevölkerung immun gegen den Erreger sind und Covid-19 zu einer saisonalen Erkrankung werde. Dies sei auch bei der durch andere Coronaviren ausgelösten Erkältung zu beobachten, die außerhalb der Tropen vor allem im Winter auftrete.
"Viren, die fast ausschließlich über an Oberflächen haftenden Schmierinfektionen weitergegeben werden, werden umso schneller deaktiviert, je wärmer es ist. Das ist aber nicht der Hauptübertragungsweg von Covid-19. Sondern die Menschen stecken sich über Tröpfchen in der Luft damit an", erklärt Monika Redlberger-Fritz, Infektiologin an der Medizinuniversität Wien. "Die Tröpfchen reisen über die Luft von einer Lunge zur anderen - egal, ob es minus 10, plus 15 oder plus 35 Grad Celsius hat. Der Zeitraum, in dem sich das Virus an freier Luft befindet, ist so kurz, dass die Außentemperatur keinen Einfluss nimmt."
Jeder Nieser schieße Tröpfchen in einer Geschwindigkeit von 160, jeder Huster sie in einer Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern in die Luft. Glücklicherweise wiegen sie schwer genug, um nach einem bis 1,5 Metern zu Boden zu sinken.
"Meine Einschätzung ist, dass wir eine direkt durchlaufende Infektionswelle bekommen", erklärt der Experte Christian Drosten, Chef der Virologie der Berliner Charité, in einer Folge seines Podcasts beim Norddeutschen Rundfunk. Einziger Lichtblick sei das Freizeitverhalten im Sommer.
"Draußen an der Luft ist die Ansteckungsgefahr per se geringer als in geschlossenen Räumen, weil die Tröpfchenwolke durch den Luftzug und die Luftzirkulation schneller verstreut wird, und daher nicht so leicht von Mensch zu Mensch geht", sagt Redlberger-Fritz: "In diesem Sinn wird uns der Sommer helfen."
In den Wintermonaten verbringen wir Zeit in Innenräumen in der Nähe von anderen Menschen, was die Zahl der Ansteckungen steigert. Trockene Heizungsluft schwächt im Wechsel mit kalten Temperaturen im Freien die Schleimhäute und damit das Immunsystem. Im Frühjahr baut es sich durch das Vitamin D aus der Sonne wieder auf. In der warmen Jahreszeit ist der Mensch weniger anfällig für virale Erkrankungen.
Warum aber kommt und geht die Influenza in Wellen, Sars-CoV--2 aber nicht? "Die Influenza wird zu einem großen Teil auch über die Schmierinfektion weitergegeben. Zudem zirkuliert sie seit Generationen, daher hat die Menschheit eine Grundimmunität und Kreuzimmunitäten entwickelt", sagt die Immunologin. Wer sich in der Welle ansteckt, ist für die nächsten ein bis drei Jahre geschützt. Wenn das Virus keine Opfer findet, ebbt es ab - aber nur in klimatisch gemäßigten Zonen. "In den Tropen, wo es heiß ist, zirkuliert das Influenzavirus das ganze Jahr auf niedrigem Niveau."
Wind und Luft helfen
Da gegen das neuartige Coronavirus kaum jemand immun ist, bleiben vorerst nur die Hygienevorschriften. Die Österreichische Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin empfiehlt, das "Leben mit angezogener Handbremse" diszipliniert fortzuführen. "Abstand halten, Händehygiene und Gesichtsmasken sind eine Selbstverständlichkeit in Gesundheitseinrichtungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überstehen den beruflichen Umgang mit riskanten Mikroorganismen unbeschadet", schreibt Walter Koller, emeritierter Professor für Krankenhaushygiene der Medizinuni Wien, und stellt eine selbst für Vorgebildete erhellende Liste von Maßnahmen bereit. "Durch eine Pandemie mit einem leicht übertragbaren Virus erleben wir unerwartet und überall, wo Menschen auf diesem Globus zusammenkommen, eine Situation wie bei einer Infektionsstation im Krankenhaus", so Koller: "Solange diese außerordentliche Situation besteht, sind ungewöhnliche Maßnahmen notwendig und angemessen", selbst wenn die Sonne scheint