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Der Sonderfall hat Respekt verdient

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann, Berlin

Analysen

Schwarz-rot: Nicht nur Blockade. | Reformbilanz kann sich sehen lassen. | In Deutschlands Politik-Szene gibt es zwei unerschütterliche Dogmen. Erstens: Große Koalitionen sind demokratische Sonderfälle, weil zwei etwa gleich starke Gegner einander nur blockieren. Zweitens: Große Koalitionen stärken die politischen Ränder und spielen den Radikalen in die Hände.


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Ein Blick auf die letzten vier Jahre - auf die zweite große Koalition - zeigt, dass diese Dogmen auf dünnen Beinen stehen. Inzwischen rechnet eine Mehrheit der Deutschen mit einer Fortsetzung dieses "Sonderfalles". Auch die Bilanz der Regierung Merkel-Steinmeier ist keine Liste von gegenseitigen Blockierungen. Im Gegenteil, das Regierungshandeln in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg war durchaus erfolgreich und wird von der Bevölkerung respektiert. Und dass FDP sowie Linke in den Meinungsumfragen und Landtagswahlen zulegen konnten, hat mit Sicherheit andere Ursachen als das Bündnis von Christ- und Sozialdemokraten.

Am Wahlabend 2005 wusste keiner so recht, wie es weitergehen sollte. Mühsam stritten sich Union und SPD auf eine gemeinsame Plattform zusammen. Angela Merkel, die man zwar mochte, aber kaum kannte, überraschte gleich am Beginn mit souveränen Auftritten im internationalen Raum. Selbst mit dem allseits verhassten George Bush schaffte sie durch ihre Charme-Offensive eine Verbesserung der transatlantischen Beziehungen.

Im Inneren verband sie ein faires, ja solidarisches Arbeitsklima sowohl mit Franz Müntefering, später mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und last not least mit Finanzminister Peer Steinbrück (alle SPD). Dies ging so weit, dass man ihr in den eigenen Reihen und seitens der FDP eine "Sozialdemokratisierung der CDU" vorwarf.

Weichen gestellt

Die Reformbilanz der großen Koalition kann sich durchaus sehen lassen. So ist einer der Hauptbrocken, die aus dem Wege geräumt werden mussten, die Föderalismusreform, nicht nur gelungen, sondern hat auch erhebliche Veränderungen gebracht. Die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze konnte verringert werden und damit auch die Zeit zwischen Beschlussfassung und Inkrafttreten eines Gesetzes, weil der Bundesrat Vorhaben des Bundestags weniger oft bremsen kann. Auch in der Familienpolitik sind Weichen gestellt worden: mit dem Elterngeld und dem Ausbau der Kindertagesstätten für unter Dreijährige.

Gleiches gilt für die Rente (schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67) und für die Unternehmenssteuern, die nach 20 Jahren Hick-Hack endlich in die Nähe des EU-Durchschnitts gesenkt wurden. Weit fortgeschritten war auch die Haushaltskonsolidierung - 2010 hätte es keine neue Nettoverschuldung mehr geben sollen, als die weltweite Finanzkrise im Sommer 2008 der Koalition einen Strich durch die Rechnung machte. Auch der beherzte Einsatz zur Bekämpfung dieser Krise ist auf der Positivliste zu vermerken. Was den Vorgängerregierungen verwehrt blieb, konnte Schwarz-Rot bei den Sozialversicherungsbeiträgen erreichen: die Senkung unter die 40-Prozent-Grenze vom Bruttolohn.

Natürlich spiegelt die Bilanz der Koalition auch Kompromisse wieder, die der reinen Reformlehre nicht unbedingt entsprechen: So gab es heuer und im Vorjahr außerplanmäßige Rentenerhöhungen, die der Logik der Rente mit 67 widersprechen, ebenso die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere, die eine Senkung der Versicherungsbeiträge konterkariert.

Die Gesundheitsreform kann noch nicht abschließend beurteilt werden, weil sie noch nicht voll umgesetzt ist. Dennoch sind die Wahlfreiheit zwischen den Versicherungen und eine größere Kostentransparenz positiv zu bewerten und die Tatsache, dass sie durch die Stärkung der Stellung des Staates in diesem Politikfeld den Handlungsspielraum nachfolgender Regierungen erweitert hat.

Zwar bringt die Pflegereform mehr Geld in die Kassen, aber sie führte - entgegen ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzung - zu steigenden Beiträgen. Gegenseitig blockiert haben sich die Regierungspartner bei der Frage der Mindestlöhne, weil hier die Meinungen diametral auseinander gehen. Dennoch wurden Mindestlöhne in acht Branchen eingeführt, aber eben nicht flächendeckend, wie von der SPD gewünscht. Umgekehrt verhinderte die SPD die von der Union geforderte stärkere Liberalisierung des Arbeitsmarktes.

Stecken geblieben ist das Vorhaben der Union, den Einsatz der Bundeswehr zur Terrorismusbekämpfung im Innern einzusetzen. Ganz gescheitert sind schließlich auch das geplante Umweltgesetzbuch sowie die beiden zentralen Privatisierungsprojekte, Bahn und Flugsicherung.