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Der Souverän in der Gosse

Von Walter Hämmerle

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Dass Politiker es leicht haben, behauptet nur, wer nicht weiß, wie schwer es ist, uns Bürger zu besseren Menschen zu erziehen.


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Vom "Souverän in der Gosse" soll der österreichische Rechtstheoretiker Adolf Julius Merkl (1890-1970) gesprochen haben. Merkl wohnte in einer Wiener Heurigen-Gegend, wo sich des Öfteren das Bild einschlägig illuminierter Bürger mit Schlagseite bot (und zweifellos bis heute bietet). Es versteht sich von selbst, dass Merkl, der die Idee vom Stufenbau der Rechtsordnung entwickelte, nicht nur weder rauchte noch trank (von sonstigen Lastern ist nichts bekannt), sondern auch öffentlich dagegen ansprach.

Das ehrt natürlich den Rechtsphilosophen, der auch wider besseres Wissen nicht von seinem Menschenideal lassen will; von mehrheitstauglichen Politikern wird dagegen erwartet, dass sie in irgendeiner Form die Schwächen ihrer Wähler widerspiegeln. Dabei kann man gerne auch den Fiaker spielen, wenn denn die Darstellung halbwegs glaubwürdig ausfällt. Angeblich sollen ja in Österreich schon mehr Politiker an überbordender Intelligenz als an charakterlichen Defiziten gescheitert sein. Obwohl: Einer war dann doch "zu schön, zu jung und zu intelligent" für einen herausgehobenen Job als Diener dieser Republik, was aber wiederum eine ganz andere Geschichte wäre. Hier geht es ja darum, wie die Politik mit den kleinen und größeren Schwächen ihrer Bürger umgehen soll, die - und das macht die Sache erst recht kompliziert - ja im Laufe des 20. Jahrhunderts von Untertanen zur höchsten Instanz aufgestiegen sind. Die prinzipielle Verführbarkeit der Masse ist uns gelernten Mitteleuropäern ja quasi demokratiepolitisch mit der Muttermilch eingeflößt worden, weshalb die Weisheit der repräsentativen Demokratie das Volk vor seinen rauschhaften Schüben und überall lauernden Suchtgefahren bewahren soll.

Das gilt für das Volk wie für Parteien. Das musste jetzt auch Matthias Strolz erfahren. Dem Ruf seiner Parteibasis nach einer Legalisierung von Cannabis stand der Neos-Chef recht hilflos, weil einigermaßen einsam gegenüber. Droht jetzt, frei nach Merkl, zum volltrunkenen auch noch der eingerauchte Souverän? Eher nicht: Glaubt man den einschlägigen Umfragen, wäre nach Ansicht einer Mehrheit der Österreicher eine legale Droge mehr dann doch das berühmte Achterl zu viel des allgemein Zuträglichen. Maßhalten im Rauschverhalten sozusagen.

Interessanterweise fühlen sich die Repräsentanten keineswegs ausnahmslos immer zu Schutzherren ihrer Anbefohlenen berufen. Das zeigte sich etwa im langjährigen Beharren so mancher Stadt- und Landesväter auf den budgetären Segnungen des verharmlosend sogenannten kleinen Glücksspiels, das vor allem in Arbeiter- und Migrantenkreisen den Leuten das Geld nur so aus der Tasche zieht. Um dem einen Riegel vorzuschieben, brauchte es schon einen Aufstand der organisierten Masse am Landesparteitag der Wiener Sozialdemokraten, um die Stadtregierung aus ihrer selbstverschuldeten finanziellen Abhängigkeit der Glücksspielkonzerne zu befreien.

Von solchen Einzelfällen abgesehen erfolgt die Therapierung des liederlichen Bürgers dank der europäischen Anleitungen zum gesunden Leben ohne direktes Zutun der Betroffenen. So gesehen könnte Merkls "Souverän in der Gosse" dereinst zum aufbegehrenden Akt des Widerstands werden.