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Griechenland ist das neue Kuba - es entfesselt die Fantasien. Das sind harte Zeiten für Pragmatiker.
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So hat sich die Sozialdemokratie den Siegeszug der Linken im Gefolge der europäischen Finanz- und Schuldenkrise eher nicht vorgestellt: Die eigene Schwesterpartei gedemütigt, müssen jetzt Werner Faymann, Siegmar Gabriel, François Hollande & Co. dem talentierten Herrn Tsipras von der politischen Konkurrenz gratulieren - und dazu auch noch freundliche Worte der aufmunternden Solidarität formulieren.
In den Augen ihrer Kritiker von links besteht der grundsätzliche Mangel der Sozialdemokratie in deren mangelndem revolutionären Ehrgeiz. Im Zweifel gegen die Revolution - dieser Grundsatz könnte tatsächlich als unausgesprochenes Motto über der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie stehen. Im Rückblick ist die SPÖ - und Österreich - ganz gut mit der parlamentarisch-evolutionären Strategie gefahren, die der Arzt und Parteigründer Viktor Adler (1852 bis 1918) seiner Bewegung mit in die Wiege gelegt hatte. Dass sich die Sozialdemokraten, später als Sozialisten und dann doch wieder als Sozialdemokraten, mehr als nur gegen diverse Putschversuche der Kommunisten stemmten - etwa 1918, 1919 und 1950 - und stattdessen auf die Möglichkeiten von Parlamentarismus und Sozialpartnerschaft setzten, macht die beiden Parteien bis heute zu erbitterten Gegnern. Die Austro-Marxisten spielten zwar in Theorie und Rhetorik mit der Idee des revolutionären Sozialismus - die Forderung nach der "Diktatur des Proletariats" im Linzer Programm von 1926, das Otto Bauer (1881-1938) federführend formulierte, bot vor allem den politischen Gegnern Angriffsflächen; in der Praxis waren die Herren des Roten Wiens aber Pragmatiker des politisch Machbaren und Opportunen.
Diese Tradition prägt die SPÖ bis heute, was - näher betrachtet - nicht wirklich verwundert: Wenn man selbst den Kanzler stellt und die stärkste politische Kraft im Land ist, wie dies bei der SPÖ in 38 der 70 Jahre seit 1945 der Fall war (in weiteren 21 Jahren agierte sie als Juniorpartner in einer großen Koalition), kann wohl nur schlecht zur Umwälzung der bestehenden Machtverhältnisse aufrufen. Zuallererst natürlich deshalb, weil die Macht dann ja in den Händen der anderen läge, was intern nur schwer als Fortschritt zu argumentieren wäre.
Diese Logik hat die altgediente Sozialdemokratie - wie übrigens natürlich jede andere Partei mit halbwegs funktionierendem Machtinstinkt auch - quasi mit der politischen Muttermilch aufgesaugt, doch mit der innerparteilichen Entfernung zu den Machtzentren schwindet auch die Zustimmung zu diesem machtpolitischen Grundkonsens. Die einst straff zentralistisch organisierte SPÖ franst zunehmend aus, und dies vor allem am linken Rand.
Für das Parteiestablishment liegt der Ausweg aus diesem Dilemma in der Dialektik, also jener argumentativen Kunst, die sich auf die scheinbar mühelose Aufhebung von Widersprüchlichkeiten versteht. Die Rolle des europäischen Integrationsprozesses kann in diesem Zusammenhang gar nicht hoch genug angesetzt werden. Weil die Forderung nach der Umwälzung der aller Machtverhältnisse in Brüssel wunderbar mit der Auffassung zusammengeht, dass zu Hause ruhig alles so bleiben kann, wie es ist.