Im Wahlkampf | glühen die Spaten in den Politiker-Händen. | Eine Auswahl der größten Inszenierungen ohne wirkliche Bautätigkeit. | Wien. Es ist Donnerstag, 19. September 2002, Gelände des Wiener AKH: Vor den Augen einer illustren Schar aus Journalisten und Fotografen nehmen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und ein Vertreter des ÖVP-geführten Bildungsministeriums einen - wie sich später herausstellen sollte - wahrlich historischen Spatenstich vor. Zwei Monate vor der Nationalratswahl erfolgt der Startschuss für das neue CeMM, das Forschungszentrum für Molekulare Medizin im AKH.
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Doch wer gedacht hätte, dass mit dem Verklingen der Politikerreden und dem Einsammeln der Schaufeln sofort die Bagger auffahren, der irrte gewaltig. Rekordverdächtige fünfeinhalb Jahre lang passierte genau nichts - ehe kürzlich Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) in einer Aussendung den Bau des CeMM erneut ankündigte, da nun die Finanzierung endgültig gesichert sei. Somit stehen bei dem mittelgroßen Projekt zwischen Spatenstich und prognostiziertem Bauende fulminante acht Jahre - solange wurde auch für den neuen Berliner Mega-Bahnhof gebaut.
Wienwahl wühlt Erde auf
"Die Rache des Journalisten am Politiker ist das Archiv", wusste schon ORF-Legende Robert Hochner. Und wer punkto Spatenstiche im Archiv tief genug gräbt, der befördert reichlich für Politiker unangenehmes Material an die Oberfläche.
Etwa unter dem Schlagwort Siemens-City : Am 31. August 2005 ist es wieder Bürgermeister Häupl, der den Spaten sticht - diesmal in die Floridsdorfer Erde, um den Bau der neuen Konzernzentrale des Elektronikriesen einzuläuten. Keine zwei Monate vor der Gemeinderatswahl erklärte das Stadtoberhaupt diesen Tag zu einem "historischen Datum" in der Industrieentwicklung Wiens.
Die 6500 Siemens-Mitarbeiter, die zweieinhalb Jahre später in der neuen Zentrale arbeiten könnten, wissen dieses Datum nicht zu schätzen - denn statt einer futuristischen "City" breitet sich in der Floridsdorfer Ebene gähnende Leere aus.
Am Mittwoch dieser Woche wurden nun erst die "Detailpläne" des Projekts sowie der geplante Bezugstermin 2010 präsentiert - der längst erfolgte Spatenstich wurde dezent verschwiegen. Und in einer SPÖ-Aussendung ließ man vor kurzem wissen, dass die Flächenwidmung bald beschlossen werde. Womit man 2005 weit entfernt von jeglicher Baugenehmigung war. Aber keine Sorge, der Bürgermeister machte sich als voreiliger Spatenstecher gewiss nicht strafbar, seine Pressestelle muss sich aber in Erklärungen winden: Derartige Umstände passierten wohl aufgrund "der Komplexität der Dinge", heißt es.
Brücke ohne Anschluss
Die Wiener Grünen bezeichneten Häupl einmal als "Weltmeister im Spatenstechen", womit sie sich einen innerparteilichen Zwist mit den niederösterreichischen Grünen eingehandelt haben. Denn für die steht ihr Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) als wahrer Meister des Spatens fest. Und wer im blau-gelben Land viel bauen lässt - vom Kreisverkehr bis zur Schnellstraße - der kann auch schon mal zu früh zum Spaten greifen.
So geschehen am 20. November 2002 in Marchegg (wir stehen vier Tage vor der Nationalratswahl): Pröll gibt den Startbefehl zum Bau der Marchbrücke , um mit dem östlichen Nachbarn Slowakei wirtschaftlich zusammenzuwachsen. Anno 2008 existieren weder besagte Brücke noch die dafür nötige Schnellstraße, dafür immerhin schon Zeit- und Finanzierungsplan. Aufgrund der Vorfinanzierung durch das Land soll die S8 nun ab 2011 fertig sein. Ungewiss ist aber noch, ob die Brücke kommt, denn die letzte Meldung lautete, dass die Slowaken einen Tunnel bevorzugen. So gesehen war es fast vernünftig, die Marchbrücke doch nicht gleich nach dem Spatenstich zu errichten.
Zweimaliger Spatenstich
Pröll schien jedenfalls an verfrühten Vorwahl-Spatenstichen Gefallen gefunden zu haben, ganz nach dem Motto: Wer in die Erde sticht, sticht andere aus. So passiert es am 17. März 2003 - diesmal knapp vor der NÖ-Landtagswahl -, dass Pröll zum ersten Aushub für die Nordautobahn (A5) ansetzt. Vielen wird nun ein ähnliches Ereignis vor genau einem Jahr einfallen, nämlich der Spatenstich für die . . . Nordautobahn. Durchgeführt von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Verkehrsminister Werner Faymann (beide SPÖ) und natürlich Pröll. Ganz ohne Wahlkampfstress haben im Februar 2007 in Eibesbrunn die (wirklichen) Bauarbeiten für die A5 begonnen - und somit wurde der Spaten für ein und das selbe Projekt gleich zwei Mal geschwungen.
Sowohl bei der Asfinag als auch bei Prölls Pressestelle wird betont, dass damals sehr wohl "bauvorbereitende Arbeiten" begonnen worden seien. Und beim Brückenprojekt sei es aufgrund der slowakischen Behörden zu besagter Verzögerung gekommen. Wie oft im Jahr Pröll unter Blitzlichtgewitter in die Erde sticht, weiß sein Sprecher Peter Kirchweger nicht abzuschätzen: "Aber das ist nur ein Zeichen dafür, dass etwas weitergeht im Land."
Was den Grünen oft zu weit geht: "Wenn etwas nicht baureif ist, soll man keinen Spatenstich machen. Das ist das reinste Affentheater", rügt Mandatar Martin Fasan, für den Pröll auch in diesem Wahlkampf verfrüht zugeschlagen habe. Noch lange vor der Umweltverträglichkeitsprüfung habe Pröll den Bau der Umfahrung Wieselburg per Spaten beginnen wollen. Was freilich so nicht stimmt: Denn Pröll hat nachweislich nur zu einem "symbolischen Spatenstich" geladen.
"Wenn man eine Schaufel in der Hand hält, soll die Baumaßnahme auch auf den Fuß folgen." Diese Worten stammen von Minister Faymann, der gestern, Donnerstag, die Ehre hatte, den Startschuss für die zweite Pfändertunnel -Röhre in Vorarlberg zu geben. Freilich: Auch hier war sein Vorgänger Hubert Gorbach (BZÖ) schon früher, im April 2006, mit der Schaufel am Werk. Zum damaligen Zeitpunkt war noch nicht einmal die Ausschreibung für das 400-Millionen-Euro-Projekt erfolgt.
Ein ähnliches Szenario bahnt sich beim Brennerbasistunnel an: Am 30. Juni 2006, am letzten Tag der österreichischen EU-Präsidentschaft, erfolgte bereits der Anstich. Mangels Einigung über die Finanzierung fuhren die Tunnelbohrer aber erst gar nie auf; zuletzt hieß es, dass im Oktober 2008 der Probestollen in Angriff genommen werde.
Inszenierter Kompromiss
Oft sind auch ablaufende Baugenehmigungen schuld, dass nach Spatenstichen nichts als verletzte Erde zurückbleibt. Der Fall des Bezirksgerichts Klagenfurt , bei der die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) einen fulminanten Frühstart hinlegte, soll aber andere Gründe haben. Obwohl im Oktober 2004 Spatenstich war, wurde erst im März 2006 zu bauen begonnen. Die vielsagende Begründung liefert BIG-Sprecher Ernst Eichinger: "Bei einem Großprojekt müssen zahlreiche Partikular-Interessen unter einen Hut gebracht werden, deshalb ist ein Spatenstich oft ein Kompromiss und muss nicht zwangsläufig mit dem tatsächlichen Baubeginn in Zusammen hang stehen."