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Der neue griechische Finanzminister Yanis Varoufakis betrat in Brüssel erstmals das glatte Eurogruppen-Parkett - Ein Porträt.
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Athen. "Gehen wir auf den Balkon. Da ist es ruhig." Yanis Varoufakis, T-Shirt, braungebrannt, hat stets schnell Lösungen parat, so scheint es. Gerade sind ein paar Anstreicher in seiner schmucken Wohnung am Athener Akropolis-Museum. Sie sprechen bei der Arbeit, es ist kein Platz. Nun sitzt Varoufakis an diesem lauen Tag im Spätsommer 2013 auf dem etwas engen Balkon auf einem weißen Plastikstuhl. Grüner Garten, Vögel zwitschern, es ist warm. Ein kleines Idyll mitten in Athen. Start des Interviews. Man kennt sich, er nimmt sich Zeit. Die hat er auch. Nur: Diese schöne Ruhe, das war einmal.
Yanis Varoufakis, 53, gebürtiger Athener, Vater früher Top-Manager in der griechischen Kupferindustrie, in zweiter Ehe verheiratet mit der Künstlerin und Galeristin Danai Stratou, die aus einer traditionsreichen Unternehmerfamilie stammt, verbrachte fast sein halbes Leben fern seiner Heimat. Ob England, Schottland, Belgien, Australien oder zuletzt Austin in Texas: der Wirtschaftsprofessor, Spezialgebiet: Wirtschaftstheorie, ist schon viel herumgekommen.
Schon früh wurde der kleine Yanis auf schulische Bestleistungen getrimmt. Er besuchte eine Privatschule in Athen und als zusätzlichen Privatlehrer Petros Moralis, der wird später Minister mit den damals omnipotenten Pasok-Sozialisten. Vom Pasok-Gründer und Ex-Premier Andreas Papandreou, selbst ein renommierter Ökonom, erhält Yanis ein Referenzschreiben für seine Uni-Karriere in England - bis heute pflegt Varoufakis enge Kontakte mit der Papandreou-Familie.
Schon dem Schüler Varoufakis, dessen Vater wegen seiner linken Überzeugungen in der Obristendiktatur in Hellas verhaftet und auf eine kleine Insel verbannt worden war, imponierte der rasante Aufstieg der Pasok nach dem Fall der Junta in Athen. Doch ein "Apparatschik" wurde Varoufakis nie, weder in der Pasok noch in irgendeiner anderen Partei. Er widmete sich mit Haut und Haaren der Wissenschaft, er schrieb Bücher wie "Der globale Minotaurus. Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft" (2012) - ein Bestseller.
Berühmt durch Krise
Die desaströse Griechenland-Krise machte Varoufakis plötzlich berühmt, nicht nur wegen seiner harschen Kritik an dem rigorosen Austeritätskurs in Athen, sondern auch dem seiner Ansicht nach völlig verkehrten Krisenmanagement in der Eurozone. Sein Credo: "Die Austerität tötet den Patienten, statt ihn zu heilen." Er prangert die sture Haltung Berlins an. Varoufakis lapidar: "Deutschland müsste in Europa sehr wohl ein guter Hegemon sein, großzügig und mit Weitsicht, aber kein Tyrann." Sein Vorbild: die USA. Was seinen Bekanntheitsgrad abrupt in die Höhe schnellen lässt: Varoufakis hat eine enorme Medienaffinität. Unermüdlich ist er in sozialen Netzwerken unterwegs, er ist passionierter Blogger, in unzähligen Medienauftritten im In- und Ausland macht er seine Sicht der Dinge publik.
Beinahe legendär sind hierzulande seine Auftritte via Skype im griechischen Frühstücksfernsehen." Wie viel Uhr ist es jetzt in Austin, Yanis?", fragte erst im vorigen Herbst der populäre Moderator Georgios Papadakis seinen Stammgast." Halb drei in der Nacht, Georgios", erwiderte Varoufakis schmunzelnd - und blieb noch eine halbe Stunde live auf Sendung.
Varoufakis versteht es zudem meisterhaft, komplexe Wirtschaftsthemen auch einer Hausfrau oder einem Hilfsarbeiter verständlich zu machen. Sein wichtigstes Instrument: Er spricht in Bildern. Varoufakis’ Metaphern füllen derweil Bände. Dank seines fließenden, völlig akzentfreien Englisch zieht er auch Zuhörer aus aller Welt in seinen Bann. Der Lohn: Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Griechenland triumphiert nicht nur seine Partei, das "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza).
Den Namen Yanis Varoufakis auf dem Syriza-Wahlzettel im zweiten Wahlkreis von Athen - dem mit rund eineinhalb Millionen Wahlberechtigten mit Abstand größten in ganz Hellas - kreuzen auf Anhieb mehr als 135.000 Stimmberechtigte an - ein landesweiter Rekord. Varoufakis hat sich furios ins Athener Parlament katapultiert.
Doch damit nicht genug: Athens neuer Premier Alexis Tsipras, selbst bekennender Gegner der Austerität und der verhassten Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF, ernennt Varoufakis zum neuen Finanzminister - der bisher ein Leben lang lupenreine Theoretiker, ist abrupt der neue "Wirtschaftszar" im krisengeschüttelten Hellas. Plötzlich kann er seine Ideen in die Praxis umsetzen. Doch kann er das wirklich? Fakt ist: Varoufakis ist die ultimative Verkörperung von Tsipras’ Marschrichtung beim hehren Projekt Neuanfang in Athen. Die Devise lautet: "Kein Bruch mit Europa, aber auch keine Unterwerfung (unter die Troika)." Ein sogenannter Grexit, ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone, steht dabei definitiv nicht zur Disposition, so beteuert er.
Im Eiltempo wirbt Varoufakis nun in Europas Schaltzentralen für seine Vorstellungen. Seine Botschaft lautet: ein radikaler Schuldenabbau statt eines klassischen Schuldenschnitts im Fall Griechenland, das sofortige Ende der Austerität in den Krisenländern der Eurozone, dafür ein "New Deal", sprich: öffentliche Investitionen im großen Stil, um so die darbende Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Power Game
Ob in Paris, London, Rom, Frankfurt oder beim gestrigen Ecofin in Brüssel: Mit betont lässigem Outfit - stets ohne Krawatte - oder die Hand in der Hosentasche: Der sichtlich athletische Varoufakis sieht nicht wie ein Wirtschaftsprofessor aus, schon gar nicht wie ein Politiker oder gar Minister. Seine Markenzeichen: der glatt rasierte Kopf - und sein Motorrad.
Experten sagen: Das passt demonstrativ zu seiner Strategie, einem überfallartigen Konfrontationskurs gegen den Rest Europas. Die verhassten Troika-Kontrolleure warf Varoufakis bereits aus dem krisengeplagten Griechenland. Über den Aufschrei im Ausland lächelt er nur. Auf seiner Europa-Tour hört man dann wieder mildere, versöhnlichere Töne. Das Varoufakis-Prinzip: Europas Mächtige in ein Wechselbad der Gefühle versetzen.
Es sei kein Zufall, dass er als Professor das Fachgebiet der strategischen Spiele erforscht habe, meinen Beobachter. Varoufakis Lieblingswerk sei "Strategie des Konflikts" von Nobelpreisträger Thomas Schelling. Geleitet werde er von Schellings Begriff des "Brinkmanship", des "Spiels mit dem Feuer", einer Politik, die bereit sei, bis zum "Rande des Abgrunds" zu gehen. Das simple, zugleich riskante Konzept: Dem Gegner soll so viel Angst vor einem Streik, einer Scheidung, einem Konkurs oder Krieg eingejagt werden, bis er nachgibt und gegen die eigenen Interessen einem Kompromiss zustimmt.