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Weltweit gibt es mindestens ein global arbeitendes Abhörsystem. Die Ergebnisse könnten für Zwecke der Wirtschaftsspionage verwendet werden. Zu diesem Schluss kommt der Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments (EP). Als Konsequenz daraus wird ein besserer Rechtsschutz gefordert.
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An die Überwachungskameras in Supermärkten und Banken haben sich die Konsumenten längst gewöhnt. Aber auch ohne Kamera sind Menschen im Cyber Space ausfindig zu machen: Jeder Mobiltelefonierer ist auffindbar - was schon so manchem vor Schulden entflohenen Geschäftsmann zum Verhängnis geworden ist.
Die Existenz eines "global arbeitenden Abhörsystems" hat der im EU-Parlament eingerichtete Sonderausschuss herausgefunden. Die Rede ist von "Echelon", der angebliche Name des Wörterbuchs beim Abhörsystem. "Die Indizienbeweise würden vor jedem Gericht standhalten", resümiert der Vorsitzende des Ausschusses, Gerhard Schmid. Der deutsche SPD-Politiker ist Vizepräsident des Europa-Parlaments. 18,5 Meter hohe Antennen, die sich auf militärischem Territorium befinden, sind ein Indiz, Satellitenabhörstationen über dem Atlantik, dem Pazifik und dem Indischen Ozean in 36.000 Kilometer Höhe machen es möglich: Das Abhörsystem wird vom US-Aufklärungsdienst National Security Agency gemeinsam mit Kanada, Australien, Neuseeland und Großbritannien betrieben. 1947 wurde es für militärische Zwecke vereinbart.
Die aus Echelon gewonnenen Ergebnisse könnten seit Ende des Kalten Krieges zur Wirtschaftsspionage genützt werden. Der Verdacht liegt nahe, doch ist er nicht beweisbar. "Abhören hinterlässt keine Spuren", so Schmid. Wollen die USA vielleicht nur Bestechungsmanöver durch europäische Firmen verhindern - Motto: "wir müssen uns wehren"? Vermutlich werden durch das global arbeitende Abhörsystem auch die Rohstoffentwicklung und die Einhaltung von Embargos überwacht.
Schadensummen unklar
"Wirtschaftsspionage ist das Stehlen von Informationen, diese befinden sich aber nur in den Unternehmen." Da müssten schon "klassische Methoden" wie das Einschleusen oder Bestechen von Geschäftsleuten angewandt werden, gibt Gerhard Schmid zu bedenken. Unseriös sind für ihn daher Angaben über den durch Echelon entstandenen wirtschaftlichen Schaden, wie er auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" erklärt. Warum eine europäische Firma einen Auftrag nicht bekommen habe, sei "Kaffeesatzleserei", das könne mehrere Ursachen haben. Vielfach seien genannte Schadensummen auch von bestimmten Interessen geleitet, beispielsweise von Sicherheitsfirmen. Dennoch: Schätzungen über den wirtschaftlichen Schaden seit 1993 liegen zwischen 13 und 145 Milliarden Dollar. Alleine für Deutschland wird der Entgang mit acht bis 15 oder 20 Mrd. Mark angenommen. "Die große Bandbreite zeigt, dass Schätzungen unseriös sind", bekräftigt SPÖ-EU-Abg. Maria Berger. Trotzdem müsse man die Zahlen nennen, um das Bewusstsein der Bevölkerung und der Unternehmer zu schärfen. Berger war Mitglied des Echelon-Ausschusses, in dem rechtlich verwandte Ausschüsse des EU-Parlaments - wie der Ausschuss für Binnenmarkt, in dem Berger sitzt - vertreten waren.
Mehr Rechtsschutz
"Der Rechtsschutz für Bürger und Unternehmer muss verbessert werden", fordert Berger. Die Privatsphäre werde durch Echelon verletzt. Heikle Geschäftsdaten sollten bei der Übertragung per Telefon, Fax oder E-Mail verschlüsselt werden. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen sollten Vorkehrungen treffen, appelliert Echelon-Untersucher Schmid. Große Unternehmen würden das ohnehin tun (mit der Begründung, es gebe doch Wirtschaftsspionage, "aber nicht bei mir").
Die Kommunikation ist global, es könne aber nicht international, sondern nur national kontrolliert werden. "Es gibt keinen Weltstaat, der das Kommunikationssystem kontrolliert", so Schmid. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sei das einzige Instrument, das über die nationalen Grenzen hinaus regle, dass Eingriffe in die Privatsphäre verhältnismäßig und vorhersehbar sein müssten, so Berger. Geregelt ist auch die gegenseitige Loyalität der EU-Mitgliedstaaten. Großbritannien stehe im Fall von Echelon "mit einem Bein in Europa und mit einem Bein in der Mitte des Atlantik", meint EP-Vize Schmid. Diese britische Stellung "kann die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU beeinflussen, muss es aber nicht".
Zur Beruhigung der Öffentlichkeit kommt der Echelon-Ausschuss zu der Erkenntnis: Unterwasserkabel etwa (Glasfaserkabel, die das Internet ermöglichen) sind "nicht anzapfbar, die USA kommen auch nicht an die EU-Kabeln heran", so Schmid. "Die Totalüberwachung ist noch nicht möglich."