Man dürfe das Vertrauen in den Staat nicht untergraben, tönt es jetzt von allen Seiten. Diese Erkenntnis kommt reichlich spät.
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Allerorten wird derzeit davor gewarnt, das Vertrauen in den Staat zu untergraben. Das kann man tatsächlich nur unterschreiben.
Bald 50 Jahre nach dem Startschuss für die längst legendäre 1968er-Bewegung, die sich noch mit Begeisterung am patriarchalen Nachkriegsstaat und seinen Vertretern rieb, werden mittlerweile die Institutionen unseres aktuellen Gemeinwesens nicht länger als gefährlich, sondern als gefährdet angesehen. Das betrifft die formalen Prinzipien wie Rechtsstaat und Parlamentarismus genauso wie Respekt und Höflichkeit als Selbstverständlichkeit im zwischenmenschlichen Umgang.
In Argumentationsnotstand gerät die Aufforderung, das Vertrauen in den Staat doch bitte nicht zu untergraben, ausgerechnet durch ihre lautstärksten Vertreter: die politischen Parteien.
Aktuell zählt dazu natürlich die biedere Treuherzigkeit der FPÖ, mit der sie sich vor dem Hintergrund ihrer Anfechtung der Hofburgwahl vorgeblich um den Rechtsstaat sorgt und gleichzeitig eine Kampagne fährt, die insinuiert, dass Wahlbetrug zulasten der Freiheitlichen in Österreich an der Tagesordnung wäre. Aber auch die anderen Parteien haben diesbezüglich ausreichend Sünden am politischen Kerbholz.
Quasi von Beginn der Zweiten Republik an inszenierten sich SPÖ und ÖVP als Garanten der höchstpersönlichen Daseinsvorsorge ihrer politischen Kernklientel. Vertraut wurde der (eigenen) Partei und ihren einschlägigen Vorfeldorganisationen, dem Staat mit seiner vorgeschriebenen Neutralität wurde misstraut. Er könnte ja von der anderen Seite okkupiert worden sein. Im Zweifel und bei Bedarf wurden eben alternative Entscheidungsgremien ersonnen, zwar außerhalb der formalen Rechtsordnung, aber innerhalb der parteipolitischen Vertrauenssphäre. Und wenn die Verfassung einmal nicht zu den Plänen der Parteien passte, wurde sie eben passend gemacht. Die Verfassung wohlgemerkt, nicht die politischen Pläne.
Das ist natürlich vom Prinzip her legitim, wenn die Sache es verlangt und die Mehrheiten gegeben sind. Dass die Verfassungsordnung etwas ist, das besonderen Schutz und Respekt verlangt, dämmert der Politik erst jetzt, nachdem die Mehrheiten prekär geworden sind.
Nach diesem Modell regierten SPÖ und ÖVP über Jahrzehnte hinweg die Republik. Zugegeben nicht einmal schlecht, aber eben nach eigenen Maßgaben. Der Staat, dem die Menschen vertrauen sollten - was sie relativ lange auch taten -, das waren die beiden Großparteien selbst.
Nur: Diesen Staat gibt es nicht mehr, nicht nur, aber auch deshalb, weil es keine Großparteien mehr gibt, denen die Bürger auf Gedeih und Verderb ihre Gegenwart und ihre Zukunft anvertrauen würden.
Diese Lücke müssen jetzt jene Institutionen füllen, die eigentlich von Beginn an dafür vorgesehen waren: der Rechtsstaat in Form von Justiz, Polizei sowie staatlichen Behörden und - natürlich - die Politik in Form des Parlaments und der dort vertretenen Parteien. Das ist der "neue" Staat, dem die Bürger lernen müssen zu vertrauen. Das gilt übrigens auch für die Parteien, und zwar ausnahmslos für alle.