Wie sehr die Handykommunikation und Zufallsfunde das Gewicht zugunsten der Ermittler verschieben, bereitet Unbehagen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Was der Mund schwätzt, muss der Hals bezahlen", schreibt Leo Perutz in seinem historischen Roman "Der Schwedische Reiter". Für das Handyzeitalter könnte eine alternative Version lauten: Was der Finger tippt, kann die Karriere kosten. Von Ermittlern sichergestellte Chats haben zuletzt mehrere Personen aus ihren Ämtern gehievt: Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid oder Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter können davon berichten. Sie alle werden diverser Straftaten beschuldigt - und all die Vorwürfe stützen sich entscheidend auf Protokolle von Handychats.
Die digitale Geschwätzigkeit erweist sich für die Staatsanwaltschaften als Goldgrube. Einmal mit der Spitzhacke in die Untiefen der Chats geschlagen, bröckelt für die Ermittler oft eine Vielzahl an Zufallsfunden ab. Da ergeben sich Hinweise auf Straftaten, wegen denen das Handy eigentlich gar nicht sichergestellt wurde. Statt eines Nuggets stehen die Ankläger dann mit einem Brocken dar.
Einerseits ist das wünschenswert: Gibt es Straftaten, so müssen diese aufgeklärt werden. Und die Leichtfertigkeit, die manch Beschuldigter an den Tag legte, rächt sich nun einmal. Andererseits aber bereitet es aus rechtsstaatlicher Sicht Unbehagen, wie sehr durch Handykommunikation und Zufallsfunde das Gewicht zugunsten der Ermittler verschoben wird. Einschränkungen wie bei der Telefonüberwachung gibt es bei Zufallsfunden auf Handys nämlich nicht.
Ob also nicht mehr Waffengleichheit zwischen Beschuldigten und Ermittlern geschaffen werden sollte? Immerhin regt sich auch justizintern Kritik, wie die Beschwerde der Rechtsschutzbeauftragten Gabriele Aicher zeigt.
So wie Telefonüberwachungen könnte ein Verwertungsverbot bei leichterer Kriminalität begründet werden. Oder man setzt bei der Strafzumessung an: Basiert die Verurteilung auf einem Zufallsfund, könnte die Strafe milder ausfallen. Ist es zudem rechtsstaatlich sauber, dass ein Richter eine Razzia mit einem Stempelbeschluss ohne Begründung bewilligen kann? Müssen Verfahren, bei denen sich zig Zufallsfunde ergeben, allesamt unter einem Dach geführt werden?
Dass die ÖVP die Debatte darüber forcieren möchte, ist problematisch. Sie stellte von 2009 bis 2019 vier Justizminister, die sich herzlich wenig damit befassten. Und jetzt, wo es um ÖVP-Größen geht, ist ihr das alles ein Herzensanliegen? Gedient wäre der Sache, wenn die Reform in die Hände von Experten gelegt würde. Ein breiter Dialog von Anwälten, Staatsanwälten, Ermittlern, Richtern und sonstigen Fachleuten könnte Vorschläge erarbeiten, um die Strafprozessordnung dem digitalen Zeitalter anzupassen.