Bei Umweltverfahren zählt Qualität, nicht unbedingt Schnelligkeit.
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Jede Regierung der vergangenen Jahre bekannte sich dazu. Redner bei Wirtschaftsveranstaltungen fordern sie. Kaum eine umweltrelevante Gesetzesnovelle der vergangenen Jahre weist in ihrer Begründung nicht dieses Wording auf: Die Rede ist von der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Kraftwerke, Verkehrswege, Leitungstrassen, Seilbahnen, Skigebiete und Ähnliches.
In diesem Zusammenhang noch gut in Erinnerung ist das Standortentwicklungsgesetz, im Jahr 2018 erfunden von der Wirtschaftskammer, vorgeblich zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung. Eine Genehmigungsfiktion hätte nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne automatisch zu einer Genehmigung des gewollten Bauvorhabens führen sollen. Nach einem Aufschrei der Juristen zwischen Wien und Brüssel wurde der Papiertiger Standortentwicklungsgesetz in einem Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Österreich zerrissen. Überbleibsel davon sind die sogenannten Standortanwälte der Wirtschaftskammern.
Derzeit zur Verhandlung im Parlament liegt zudem ein Novellierungsvorschlag zum UVP-Gesetz, der - welch Überraschung - eine Beschleunigung der Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) bringen sollte. Allerdings verursachte das Begutachtungsverfahren erhebliche Skepsis, ob statt der intendierten Beschleunigung nicht neue Rechtsunsicherheiten im Gegenteil zu längeren Verfahren führen würden.
Auch seitens der EU kommt nun ein Vorstoß zur Beschleunigung von Kraftwerkprojekten, und zwar in Form einer sogenannten Notverordnung, die ausgerechnet während der UN-Weltnaturkonferenz in Montreal beschlossen werden soll, die darüber verhandelt, wie der dramatische Rückgang der Biodiversität eingedämmt werden kann. Im Artikel 2 der Verordnung soll demnach ex lege ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie verankert werden, das de facto den Lebensraum- und Artenschutz gemäß Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie aushebeln und das europaweite "Natura 2000"-Schutzregime preisgeben würde. Dass damit die großen Errungenschaften des Naturschutzes auf europäischer Ebene dem exzessiven Energiebedarf geopfert werden, scheint die Initiatoren nicht zu behelligen.
Bei all diesen - meist untauglichen - Versuchen einer Verfahrensbeschleunigung durch Automatismen wird man das Gefühl nicht los, dass Legisten ohne Praxiseinblick jenseits jeder Evidenz Vorschlag um Vorschlag in die Arena werfen, um die Beteiligten gegeneinander aufzubringen. Bei Umweltverfahren zählt Qualität, nicht unbedingt Schnelligkeit. Abgesehen davon dauern UVP-Verfahren in Österreich ohnehin im Durchschnitt nur noch 7,2 Monate. Wissen das die Verantwortlichen nicht oder wollen sie es nicht wissen?
Die wahren Schlüssel für eine Beschleunigung sind erstens die oft unvollständigen Einreichunterlagen - das wäre doch ein Aufgabenfeld für die Standortanwälte - und zweitens der Mangel an Sachverständigen bei Behörden und Gerichten. Diese beiden Hebel sind zu betätigen. Alles andere ist Populismus oder geht zu Lasten der Natur.