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Der steinige Weg bis zur Uni

Von Thomas Müller

Wissen

Deutschkurse allein reichen oft nicht. | Ein Buch kritisiert Schule und Politik. | Wien. Mit Deutschkursen fängt der Bildungsweg vieler Zuwanderer an. Manche schaffen es zu einem Uni-Abschluss, doch der Weg dorthin ist voller Hindernisse. Das zeigt auch der 2010 erschienen Band "Migrations- und Integrationsforschung in der Diskussion". Die Herausgeber Gudrun Hentges, Volker Hinnenkamp und Almut Zwengel präsentieren darin einen Querschnitt aktueller Forschungsarbeiten.


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Österreich macht im internationalen Vergleich keine gute Figur: Der Umfang der Deutschkurse betrug zunächst 100 Stunden, und wurde dann auf 300 erhöht. Doch Deutschland und die Niederlande haben zu diesem Zeitpunkt schon 600 Stunden vorgesehen. Wer ein oder mehr Deutschkurse hinter sich hat, kämpft freilich noch immer oft mit Schwierigkeiten, sich in der Landessprache auszudrücken. Das zeigt der Beitrag von Almut Zwengel, die drei Frauen interviewt hat, die schon einige Jahre in Deutschland leben. Das mitgebrachte Bildungsniveau, sowie der berufliche und private Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung spielen eine wichtige Rolle. Die drei Lebensläufe veranschaulich wie unterschiedlich die Erfolgsaussichten der ersten Generation sein können.

Ganz anders ist wiederum die Lage der zweiten Generation: Sie wächst zweisprachig auf, was aber wenig Anerkennung durch die Mehrheit findet, sondern eher als "doppelte Halbsprachigkeit" abqualifiziert wird. Volker Hinnenkamp versucht es positiver zu sehen: Den Alltag deutsch-türkischer Jugendlicher analysiert er etwa so: "Der von den Jugendlichen verwendete Hybridolekt impliziert somit eine Art migrationsgeschichtlichen Rückkopplungseffekt, er stellt die Re-Kontextualisierung eines fremdoktroyierten Diskurses dar." Die beobachteten Sprachspiele ähnlich klingender Worte im Deutschen und Türkischen sind für Hinnenkamp Indiz für ein "hohes sprachliches Reflexionsniveau". Ob sich die Sprecher in einer der Sprachen auch differenzierter ausdrücken können, bleibt unklar. Erwähnt wir nur, dass es sich um Hauptschüler mit "nicht glänzender" Schullaufbahn handelt.

Als größte Bildungshürde für zugewanderte Kinder und die zweite Generation wird die frühe Selektion in einigen Bundesländern ausgemacht, die auch in Österreich stattfindet. Wer in der Grundschule von den Lehrern eine Empfehlung für die Hauptschule erhält, ist später bei der Lehrstellensuche gegenüber Realschulabgängern und Maturanten chancenlos. Doch allein der Faktor Bildung erklärt die Benachteiligungen nicht, weiß Ursula Boos-Nünning. Ihr Vergleich verschiedener empirischer Studien aus Deutschland und der Schweiz führt zu der Vermutung, dass sich auch soziale Kontakte einer Familie auf die Karriere der nächsten Generation auswirken.

"Türkische Mädchen brauchen kein Abitur"

Jenen kleinen Teil, der es bis zum akademischen Abschluss geschafft hat, nimmt Bildungswissenschafterin Schahrzad Farrokhzad unter die Lupe. Diskriminierung haben auch hier einige erfahren, vor allem durch die Lehrer. Besonders Frauen berichten, wie ihnen als Jugendlichen wegen Religion oder Herkunft der Eltern die Befähigung für das Gymnasium abgesprochen wurde ("Türkische Mädchen brauchen kein Abitur"). Diese Hürden auf dem Weg zur Uni wurden durch das Durchhaltevermögen der jungen Frauen kompensiert. Wer schon wiederum als Akademiker nach Deutschland kam, hat mit der mangelnden Anerkennung seiner Qualifikationen durch Behörden und Arbeitgeber zu kämpfen.

Auch wenn der Band auf die Verhältnisse in Deutschland ausgerichtet ist, lohnt sich die Lektüre der meisten Texte auch hierzulande. Die geschilderten Lebenswege der Migranten hätten genauso gut auch in Österreich stattfinden können. Hinzu kommt der Blick über die Grenzen auf einige EU-Länder und darüber hinaus, auf Länder wie Australien etwa, die sich schon in den 70er Jahren realistischerweise als multikulturelle Gesellschaft definiert haben. Da erscheint es umso merkwürdiger, dass ausgerechnet die deutsche Kanzlerin als Expertin auftretend verkündet: "Multikulti ist gescheitert!"