Washington - Amerikanische Politikbeobachter halten es durchaus für möglich, dass am 7. November einer der beiden Kandidaten der großen Parteien zwar die Stimmenmehrheit bekommt, sein Gegner aber den Einzug ins Weiße Haus schafft. Das Wahlmännersystem, ein Relikt aus der Frühzeit der amerikanischen Geschichte, hat bisher dreimal dazu geführt, dass nicht der stimmenstärkste Kandidat Präsident wurde, und zwar in den Jahren 1824, 1876 und 1888.
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Gewählt wird am 7. November nämlich nicht der Präsident direkt, sondern ein 538 Personen umfassendes Wahlmännerkollegium, das am 18. Dezember den neuen Präsidenten offiziell kürt.
In jedem einzelnen Bundesstaat werden soviele Wahlmänner gewählt, wie dieser Staat Abgeordnete im Repräsentantenhaus und im Senat hat. Dazu kommen noch drei Wahlmänner aus der Hauptstadt Washington, die als Distrikt im Kongress nicht vertreten ist.
Die Wahlmännerstimmen werden nicht proportional nach dem Wähleranteil vergeben, sondern dem Kandidaten, der in einem Bundesstaat die meisten Stimmen erhalten hat, fallen alle Wahlmänner dieses Bundesstaates zu. Damit ist es rein theoretisch möglich, dass ein Kandidat, der in den bevölkerungsreichsten Staaten, die die meisten Wahlmänner zu vergeben haben, nur knapp gewinnt, in vielen anderen Staaten aber haushoch verliert, trotzdem den Einzug ins Weiße Haus schafft. Die großen Bundesstaaten - Kalifornien hat 54 Wahlmänner zu vergeben, New York 33, Texas 32, Florida 25, Pennsylvania 23 und Illinois 22 - sind deshalb besonders umkämpft.
Bei den Wahlen im Jahr 1824 lag Andrew Jackson, der dann die beiden darauffolgenden Wahlen in den Jahren 1828 und 1832 haushoch gewann, mit 43,1 Prozent der Stimmen und 99 Wahlmännern klar vor dem zweitgereihten John Quincy Adams (30,5 Prozent, 84 Wahlmänner). Adams wurde dann im Repräsentantenhaus trotzdem zum Präsidenten gewählt.
Gerüchte, dass er den Mitbewerber Henry Clay, der bei den Wahlen 13,2 Prozent erreicht hatte mit dem Posten des Außenministers geködert habe, seine Wahlmänner für ihn stimmen zu lassen, überschatteten seine Präsidentschaft.
1876 stimmten 51 Prozent der Wähler für den demokratischen Kandidaten Samuel J. Tilden und 48 Prozent für den Republikaner Rutherford B. Hayes. Die Republikaner bestritten die Rechtmäßigkeit der Ergebnisse in mehreren Bundesstaaten und eine Schiedskommission, der 8 Republikaner und 7 Demokraten angehörten entschied mit 8:7, dass Hayes 185 und Tilden 184 Wahlmänner zustünden.
1888 erreichte der amtierende Präsident, der Demokrat Grover Cleveland 48,6 Prozent der Stimmen, auf seinen republikanischen Herausforderer Benjamin Harrison entfielen nur 47,9 Prozent. Harrison konnte aber 233 Wahlmänner gewinnen und damit die Präsidentschaft, Cleveland hingegen nur 168.
Allerdings hatte Cleveland auch die vorangegangenen Wahlen im Jahr 1884 bloß mit 0,2 Prozent Vorsprung vor seinem republikanischen Gegner James G. Blaine gewonnen.
Einen so knappen Wahlausgang sollte es erst 76 Jahre später wieder geben, als das Duell John F. Kennedy kontra Richard Nixon 1960 mit 49,7: 49,5 Prozent ausging. Allerdings konnte Kennedy 303, Nixon aber nur 219 Wahlmänner auf sich vereinigen.
Prozentuell den höchsten Wahlsieg konnte der Demokrat Lyndon B. Johnson im Jahre 1964 verbuchen. 61,1 Prozent der US-Wähler votierten für ihn, nur 38,5 Prozent für seinen republikanischen Herausforderer Barry M. Goldwater. Johnson hatte damit den Rekord von Franklin D. Roosevelt eingestellt, für den 1936 60,8 Prozent votiert hatten. An diese Marke kam auch Richard Nixon bei seiner Wiederwahl im Jahre 1972 mit 60,7 Prozent heran. Der Republikaner Warren G. Harding hatte 1920 60,4 Prozent erreicht.
Fünfter in der Reihe der Rekordhalter ist der Republikaner Ronald Reagan mit 58,8 Prozent bei seiner Wiederwahl im Jahr 1984. Mit 525 Wahlmännerstimmen - auf seinen demokratischen Gegenkandidaten Walter Mondale entfielen bloß 13 - führt er allerdings in der Wahlmännerkathegorie. Allerdings hatte Roosevelt 1936 bei zwei Bundesstaaten weniger 523 Wahlmänner erobert - bei 8 für seinen republikanischen Gegenkandidaten Alfred M. Landon. Nummer drei in der Wahlmännerwertung ist Richard Nixon (1972) mit 520 Wahlmännern. Nur 17 entfielen auf seinen demokratischen Herausforderer George S. McGovern.