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Der Streit um das Arbeitslosengeld

Von Martina Madner

Politik

ÖVP-Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer wollen das Arbeitslosengeld für Langzeitarbeitslose senken. Opposition und Gewerkschaft sind dagegen. Laut Arbeitsmarktexperten Mahringer bringt die Kombination aus Fördern mit Fordern mehr.


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Noch wollen weder Arbeitsminister Martin Kocher noch ÖVP-Klubchef August Wöginger den Wirtschaftsbund-Plan zum Arbeitslosengeld als den von der ÖVP priorisierten sehen. Demnach sollen Langzeitarbeitslose in ganz Österreich vermittelt werden dürfen, außerdem soll das Arbeitslosengeld von derzeit 55 Prozent auf 40 Prozent sinken. Kocher bezeichnet ihn als "einen von vielen Vorschlägen. Wenn alle auf dem Tisch liegen, dann werden wir sie alle diskutieren."

Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer bekräftigte im Ö1-Interview den Vorschlag. Es gehe darum, Arbeitsmärkte mit großer Nachfrage und die Suchenden "zusammenzuführen": "Das heißt, wir müssen die Anreize dementsprechend ausgestalten, um den Fachkräftemangel im Aufschwung wirklich zu bekämpfen." Deshalb die "Idee" anfänglich "sogar eine höhere Unterstützung zu bekommen, die sinkt aber dann über die Zeit", sagte Mahrer.

Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer beteuerte ebenfalls in Ö1 zwar: "Die Wirtschaftskammer hat hier was falsch verstanden. Wir haben im Regierungsprogramm die Halbierung der Armut beschlossen und nicht die Halbierung des Arbeitslosengeldes." Die Aussagen seien ein Ausdruck "alten, unsozialen Denkens, das auf Ausbeutung von Mensch und Natur basiert". Was die Regierung - und damit auch die Grünen - im Programm beschlossen haben, ist allerdings eine "Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schneller ins Erwerbsleben zurückkehren können".

SPÖ und ÖVP sind gegen sinkendes Arbeitslosengeld

Maurer hebt folglich den grünen Aspekt dieses Plans hervor. Vizekanzler Werner Kogler hat ihn bereits im Interview mit der "Wiener Zeitung" als "Einstieg in ein neues Denken" konkretisiert: "Sollte ein degressives Modell kommen, würde es in der ersten Phase der Arbeitslosigkeit deutlich mehr Geld als jetzt geben, dann würde es sinken, aber nicht unter den aktuellen Standard von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Der könnte sogar höher sein als heute. Wir wollen definitiv keine Kürzungen, wir wollen eine bessere finanzielle Absicherung."

Die bessere Absicherung will auch die SPÖ. Sozialsprecher Josef Muchitsch bringt am Dienstag im Arbeits- und Sozialausschuss des Parlaments bereits zum 20. Mal die SPÖ-Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55 auf 70 Prozent ein. Der Mahrer-Wirtschaftsbund-Vorschlag einer Kürzung sei dagegen "menschlich eiskalt", sagte er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Das durchschnittliche Arbeitslosengeld liege jetzt schon bei nur 34 Euro pro Tag. Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer-Präsident Mahrer "sollen mir mal zeigen, wie man von noch weniger Arbeitslosengeld leben kann", so Muchitsch.

Nun in der Opposition, erinnern die FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch die Kammerpläne in einer Aussendung an das "christlich-sozialen Aussteuerungssystem für Arbeitslose aus den 30er Jahren", das "geradewegs in die Armut, Delogierung und Obdachlosigkeit inklusive Kälte und Hunger führen soll". Allerdings hatte die türkis-blaue Regierung in ihrem Programm mit einem "Arbeitslosengeld NEU" eine "degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe" vor. Die Regierung zerbrach nach Heinz-Christian Straches Ibiza-Auftritt, die Idee scheint bei der FPÖ heute nicht mehr prioritär zu sein.

Ein Drittel erhielt nach zwei Jahren kein Arbeitslosengeld

Das Wifo hat die Wirkung der ÖVP-FPÖ-Pläne in einer Studie mit dem unscheinbaren Titel "Szenarien der Gestaltung von Existenzsicherungsleistungen der Arbeitslosenversicherung" simuliert. Statt 20 bis 52 Wochen Arbeitslosengeld, danach Notstandshilfe (im Durchschnitt 51 Prozent des Einkommens davor) hätte es im wesentlichen 6 bis 24 Monate Arbeitslosengeld, das laufend sinkt und endet, vorgesehen. Unbegrenzt sollte ein Arbeitslosengeldbezug nur für Langzeitversicherte ab einem Alter von 50 Jahren sein.

Ohne abschwächende Maßnahmen hätten ÖVP und FPÖ dafür gesorgt, dass ein Drittel der Arbeitslosen von 2016 im Jahr 2018 keine Unterstützung des AMS mehr erhalten hätte. Bei den Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss waren es 42 Prozent, bei jenen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderung 48 Prozent, auch bei den älteren über 55-Jährigen verloren 28 Prozent ihr Arbeitslosengeld. Sofern sie keine Arbeit ergattern, bliebe diesen nur die Sozialhilfe. Bei dieser hatte die ÖVP-FPÖ-Regierung jedoch auch einen Deckel eingezogen - und die türkis-grüne Regierung rüttelt daran bekanntlich nicht.

Stärkere Anreize durch Betreuung als durch Kürzung

Wifo-Arbeitsmarkt-Experte Helmut Mahringer hat sich mit Arbeitsanreizen auseinandergesetzt. Ein Vergleich von 49-Jährigen, die 2017 nach 39 Wochen Arbeitslosengeld in die damals oft wegen der Anrechnung des Partnereinkommens deutlich niedrigere Notstandhilfe wechselten, mit 50-Jährigen, die weiterhin Arbeitslosengeld erhielten, zeigte, dass weniger Geld vom AMS kaum merkbare Unterschiede bei der Beschäftigungsaufnahme bringt. "Es kann schon Anreizeffekte geben, ich würde aber davor warnen, sich viel davon zu erwarten, denn diese sind klein."

Sanktionen wie Bezugssperren seien zwar notwendig, um Missbrauch zu verhindern. Ein Vergleich von AMS-Stellen, wo solche häufiger vorkommen mit anderen, wo das seltener der Fall ist, "zeigt aber keine signifikanten Unterschiede in der Bezugsdauer", sagt Mahringer.

Was der Ökonom aber feststellen konnte, ist, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit mit mehr Betreuung deutlich sinkt. Er verglich jeweils zwei Gruppen in Wien und Linz, einmal mit viel AMS-Betreuung, einmal mit weniger. Das bessere Verhältnis von Arbeitsvermittelnden zu Arbeitslosen verkürzte die Zeit in einer Servicezone in Linz um 14 Tage. In der Beratungszone in Wien, wohin Arbeitslose nach rund drei bis vier Monaten wechseln, waren die Arbeitslosen sogar um 25 Tage weniger lang arbeitslos gemeldet als in jener mit wenig Betreuung. "Es liegt vielleicht weniger an den Zumutbarkeitsbestimmungen alleine, sondern auch an der regelmäßigen Unterstützung durch das AMS-Personal. Damit läuft die Kontrolle der Bewerbungsbemühungen natürlich auch mit."

Moderne Arbeitslosenversicherungssysteme setzen auf eine Mischung aus Forderungen an und Förderungen von Arbeitslosen, "nicht so sehr auf monetäre Anreize". Letztere bringen die Gefahr mit sich, die Armutsvermeidung und Sicherungssysteme wie die Sozialhilfe unter Druck zu setzen. Mahringer: "Wenn die Regierung Armut vermeiden will, ist es gut, wenn sie Arbeitsanreize aufrechterhält, ohne die Leute existenziell zu bedrohen."