Verhandlungen über neues Wahlrecht in der Zielgeraden - eine Analyse.
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Wien. Noch in diesem Jahr soll sie stehen, die Wahlrechtsreform in Wien - oder besser gesagt, das Demokratiepaket, wie es die rot-grüne Stadtregierung genannt haben will.
Einig ist man sich bereits beim Petitionsrecht: Wird eine Eingabe zu einem bestimmten Thema von mindestens 500 Menschen unterstützt, soll sie in einem eigenen Ausschuss im Rathaus behandelt werden. Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit sollte kein Problem sein, da man sich in dieser Frage auch über weite Strecken mit der Opposition einig ist.
Dasselbe gilt für die Kompetenzerweiterung des Kontrollamtes - dieses soll 2013 mit denselben Prüfbefugnissen wie der Bundes-Rechnungshof ausgestattet und somit in einen "Stadtrechnungshof" überführt werden. Einziger Streitpunkt mit der Opposition ist hier der Bestellmodus für den künftigen Stadtrechnungshofdirektor, aber hier geht es mehr um formale Divergenzen als um ideologische.
Ganz anders sieht es da schon mit dem Wahlrecht aus. SPÖ und Grüne wollen, dass EU-Bürger in Wien auch auf Gemeinderatsebene wählen dürfen - so wie in allen anderen Städten in der EU auch, mit Ausnahme von Hamburg, Bremen und Berlin. In dieser Frage steht Rot-Grün alleine da - und ist sich auch noch nicht über die Vorgehensweise einig: Die Grünen wollen nämlich die Bestimmung einfach in das neue Wahlrecht hineinnehmen und eine Klage der FPÖ beim Verfassungsgerichtshof in Kauf nehmen. Die SPÖ ist hier etwas zögerlicher. Sie dürfte eher dazu tendieren, eine Resolution an den Bund zu verabschieden und abzuwarten.
Fix ist aber schon, dass es kein Wahlrecht für alle geben wird. Denn für die Wahlberechtigung von Drittstaatsangehörigen wäre eine Verfassungsänderung auf Bundesebene nötig, was mit der Bundes-ÖVP aber kaum zu machen ist. Einzig für die Grünen ist diese Haltung völlig unverständlich - denn bei dieser Partei darf jedes einzelne Mitglied bei der Landesversammlung über Listenplätze abstimmen. In SPÖ, ÖVP und FPÖ bestimmen die Parteien für sich selbst, wer auf ihren Listen steht. Das plakativste Gegenmodell zu den Grünen dürfte aber die Wirtschaftskammer sein: Dort wird jeweils ein Vertreter einer Sparte ins Gremium geschickt - wobei die Stimmen im Gremium gleich viel wert sind, auch wenn die eine Sparte 1200 Unternehmer vertritt (wie zum Beispiel die Taxifahrer und andere Fuhrwerkunternehmen) und die andere nur einen (zum Beispiel Seilbahnen).
Die Grünen wollen auf jeden Fall, dass jede Stimme gleich viel wert ist. Aber ein Wahlrecht ganz ohne Verzerrungen wird es nicht geben können, solange es mehr als einen Wahlkreis gibt. Aber die Wiener Stadtverfassung schreibt vor, dass es mehrere Wahlkreise geben muss. In Wien sind es derzeit 18.
Marginale Veränderungen
Das derzeitige Wiener Wahlrecht ist mehrheitsfördernd - und hilft damit am meisten der stärksten Partei, der SPÖ. Dass die SPÖ im Zuge der Wahlrechtsreform mehrere Mandate verlieren wird, scheint unwahrscheinlich - bei dem medial mitunter so hochgeschaukelten Thema wird es wohl nur geringfügige Änderungen geben, da der Verhandlungsspielraum von SPÖ und Grünen ein sehr kleiner ist: Mit knapp 45 Prozent hat die SPÖ derzeit 49 Mandate. Davor hatten sie 49 Prozent und 55 Mandate. Hätte nun Wien die Wahlordnung des Nationalrates, würden der Wiener SPÖ nur noch 46 Mandate zustehen. Und hier sehen die Grünen ihren Korridor für die Verhandlungen mit der SPÖ: zwischen 46 und 49 Mandate. Um sich in der Mitte treffen zu können, also bei 47,5, müsste es halbe Mandate geben.
Also wird der Kompromiss entweder bei 47 oder 48 Mandaten stattfinden. Das heißt, mehr als zwei Mandate wird die SPÖ nicht verlieren - und sie wird sicher alles daransetzen, dass es nur eines sein wird. Zumal der mehrheitsstärkende Effekt durch das derzeitige Wahlrecht nur etwa ein Mandat ausmacht. Dass man am Status quo nicht festhalten könne, hat Häupl aber bereits gegenüber der "Wiener Zeitung" Ende August zugegeben. Die Grünen bleiben unterdessen bei ihrem Satz: "Es wird der SPÖ Mandate kosten." Dass sie dabei aber immer nur von zwei Mandaten als Verhandlungsziel sprechen, sagen sie nicht dazu. Andererseits reicht schon der Verlust von nur einem Mandat, um die Absolute zu verlieren.
Bezirksräte bleiben
Was die Fünf-Prozent-Hürde bei Wahlen auf Bezirksebene betrifft, wird kaum noch verhandelt. Eine solche Hürde würde weder schaden noch nützen. Ebenso sei die Reduktion der Bezirksräte kein Thema mehr, heißt es in Insider-Kreisen. Denn die Zahl der Bezirksräte spiegle kaum die Menge der Bewohner wider: In Wien fällt ein politisches Mandat auf 1300 Einwohner. Im Burgenland sind es 90. Außerdem gibt es in Wien rund 1200 Politiker und vergleichsweise 12.000 in Niederösterreich. Da sind zwar viele ehrenamtliche dabei, aber insgesamt kosten Niederösterreichs Politiker dem Land 79 Millionen Euro im Jahr. Die Wiener Politiker kosten wiederum nur 23 Millionen Euro. Das geht aus einer Studie der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung hervor. Wenn man also über das Thema Bürgernähe diskutieren würde, müsste man de facto die Anzahl der Bezirksräte sogar noch anheben.
Bei der Zahl der Bezirksvorsteher-Stellvertreter wird noch verhandelt. Die SPÖ will die zweiten Stellvertreter streichen. Die Grünen ziehen hier mit, wollen aber, dass sowohl Vorsteher als auch Stellvertreter gewählt und nicht mehr nur von den stärksten Fraktionen bestellt werden.